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Eine Dreifaltigkeit der etwas anderen Art

 

Vor Kurzem habe ich eine äusserst interessante Ausstellung besucht: den Luzerner Stiftsschatz, der zu den bedeutendsten sakralen Schätzen der Schweiz gehört und anlässlich des 1250-Jahr-Jubiläums des Stifts St. Leodegar neu präsentiert wird. Dabei bin ich auf ein Bild gestossen, dessen Motiv mich überrascht und fasziniert hat. Auf einem Gemälde der Luzerner Künstlerin Anna Barbara Abesch, das sie 1741 gemalt hat, ist eine ungewöhnliche Darstellung der im Himmel thronenden Dreifaltigkeit zu sehen. Auf dem Thron in der Mitte sitzt Gottvater, der Thron zu seiner Rechten ist leer, weil Jesus als mensch­gewordener Gottessohn noch auf Erden wirkt, und links von Gottvater thront der Heilige Geist ─ dargestellt als weibliche Person. Auf der einen Bildseite musiziert zudem ein weibliches Engelorchester und auf der anderen Seite jubiliert ein himmlischer Chor von weiblichen Engelwesen. Was für ein Bild: Der Himmel nicht wie sonst üblich allein von einer männlichen Dreifaltigkeit bewohnt, sondern bevölkert von einer weiblichen Engelschar und einer Heiligen Geistin als Dritter Person der Dreifaltigkeit! Mein Herz ging weit auf ob dieser anderen Art, sich den Himmel auszumalen.

 

So ungewohnt für uns die Darstellung eines weiblichen Heiligen Geistes ist: Die Künstlerin hat damit an eine lange Tradition angeknüpft, den Heiligen Geist in weiblichen Bildern zu beschreiben. So wird der Geist Gottes, die dynamische göttliche Schöpfer- und Lebenskraft, in der Hebräischen Bibel mit dem weiblichen Begriff ruach bezeichnet, im Neuen Testament dann mit dem Neutrum pneuma. Diese Geistkraft wird später durch die lateinische Theologie in eine männliche, personale Form gebracht und zum Spiritus Sanctus, zur Dritten Person der Trinität. Doch die weibliche Konnotation des Geistes ging auch in der Trinitätslehre nicht ganz verloren. So haben einige Kirchenväter und auch Autor/innen des Mittelalters den Heiligen Geist als weibliche Caritas verstanden. Als Geist der Liebe verbindet sie den Vater mit dem Sohn sowie die göttliche Dreifaltigkeit mit der Schöpfung. Für die Verbindung von Geist, Liebe und Weiblichkeit kannten bereits die Kirchenväter überdies das Bild der Mutter, der mütterlichen Caritas. Und schliesslich wurde die Familie als Abbild der Trinität oder umgekehrt die Trinität als erste Familie verstanden: Vater, Mutter (Geist) und Sohn. Dieses Modell war vom 5. bis ins 20. Jahrhundert bekannt. Es scheint, dass sich der Wunsch nach einer weiblichen Dimension im Gottesbild nie ganz verdrängen liess.

 

Doris Strahm

 

 

© Doris Strahm 2018