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Nachgedacht – Über die endlose Sexismusdebatte

 

"Sie nimmt und nimmt kein Ende: die Sexismusdebatte", so der Tenor in vielen Medien. Ja, die Sexismusdebatte nimmt tatsächlich kein Ende. Denn wir führen sie immer wieder neu, als hätten wir gerade erst entdeckt, dass Sexismus in unseren Gesellschaften ein tiefliegendes strukturelles Problem darstellt. So wichtig die #MeToo-Kampagne und der öffentliche Aufschrei von Frauen weltweit auch ist, so ernüchternd ist, dass Sexismus erst jetzt grossflächig zum Thema wird, wo sich Millionen von Frauen im Netz zu ihren Gewalterfahrungen äussern. Denn "Sexismus", Diskriminierung und Abwertung aufgrund des Geschlechts, war schon zu Beginn der neuen Frauenbewegung in den 1970er Jahren der Begriff, um gesellschaftliche Diskriminierung und sexuelle Gewalt von Männern gegen Frauen auf den Punkt zu bringen und anzuklagen. Doch wie sich heute zeigt, hat sich trotz jahrzehntelangem feministischem Kampf gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung und trotz formal erreichter Gleichstellung an der sexistischen Tiefenstruktur der Mann-Frau-Beziehung nur wenig geändert.

Ist jetzt, durch die breite gesellschaftliche Debatte eine Kulturveränderung oder gar Kulturrevolution in Sicht, wie einige meinen? Das wäre schön, doch ich bin skeptisch. Denn dazu braucht es eine Analyse des Sexismus und der sexuellen Übergriffe, die nicht an der Oberfläche bleibt. Beim sexistischen Verhalten Frauen gegenüber, bei anzüglichen Bemerkungen, verbaler Herabsetzung, sexueller Belästigung und Gewalt geht es nämlich weniger um Sexualität als um Macht. Und es geht um ein grundsätzliches Problem und nicht nur um das Verhalten einzelner Männer. Die derzeitige Empörung über sexuelle Übergriffe mächtiger Männer in Politik und Showbusiness vernebelt die Tatsache, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen ein alltägliches Phänomen ist, das sich zum weitaus grössten Teil im nahen sozialen Umfeld, im Freundes- und Familienkreis ereignet. Der Mann markiert mit seinen Übergriffen, wer in unserer patriarchalen Gesellschaft noch immer das Sagen hat, wo der Platz von Frauen ist und wie die Machtverhältnisse tatsächlich sind. Schon lange reden Feministinnen deshalb nicht von sexueller, sondern von sexualisierter Gewalt, um zu verdeutlichen, dass es hier um Gewalt, um Herabsetzung von Frauen und Machtausübung von Männern geht. Wenn das eine Geschlecht latent befürchten muss, vom anderen Geschlecht abgewertet, belästigt oder gar vergewaltigt zu werden, also Opfer von Übergriffen zu werden, dann wird jeder Frau ─ auch der bestausgebildeten, selbstbewussten, erfolgreichen ─ signalisiert, dass sie nicht ein gleichwertiges, in ihrer Selbstbestimmung, Menschenwürde und körperlichen Integrität respektiertes Gegenüber ist!

So wie die Sexismusdebatte aktuell in den Medien geführt wird, zweifle ich allerdings an der Bereitschaft gewisser Männer, sich mit ihren Männlichkeitsbildern, mit sexistischen Einstellungen und Verhaltensmustern ernsthaft auseinanderzusetzen. Da wird bereits lamentiert, Mann sei total verunsichert, die Mann-Frau-Beziehungen würden verkompliziert, Frauen seien ja auch selber schuld, wenn sie sich sexy kleiden, und vor allem: die Grenzen, wo das Flirten endet und der Übergriff beginnt, seien verschwommen. Nein, meine Herren: Die Grenzen sind klar! Sie sind da, wo eine Frau Nein sagt, wo sie nicht auf einen Flirt eingeht oder mitten in einem erotischen Spiel Stop signalisiert.

Es ist zu hoffen, dass die Frauen diesmal nicht locker lassen, sodass die Sexismusdebatte nicht endlos weitergehen muss und es tatsächlich zu einer Veränderung der Machtverhältnisse und zu einem Kulturwandel kommt. Ein solcher hätte dann stattgefunden, wenn Frauen in der Arbeitswelt, Politik und Kultur nicht mehr aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt würden und eine Frau ohne mulmiges Gefühl nachts allein auf einer dunklen Strasse unterwegs sein könnte.

 

Doris Strahm

 

 

© Doris Strahm 2018