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Feindbild "Gender"

 

Gender wird derzeit von gewissen Kreisen zum Feindbild schlechthin gemacht. Rehabilitierung eines Begriffs, der verteufelt und bewusst verdreht wird!

Wussten Sie, dass evangelikale Christen, erzkonservative Bischöfe und auch der Vatikan ein neues, weltweit verbreitetes Virus namens "Gender" entdeckt haben? In ihren Augen eine der grössten Bedrohungen der Gegenwart! Denn dieses stelle die natürlichen Unterschiede von Mann und Frau in Frage und höhle die Fundamente der Familie aus. Der Salzburger Weihbischof Andreas Laun bezeichnet Gender in seinem jüngsten Hirtenbrief vom 25. März 2017 gar als eine Lüge des Teufels und vergleicht sie mit den teuflischen Lügen von Nationalsozialismus und Kommunismus, die unendlich viel Leid über die Menschen brachten. Die "Gender-Lüge" laute nämlich: Es gebe nicht wirklich Mann und Frau, sondern in Wirklichkeit sei dieser Unterschied eine Erfindung der Menschen selbst. Daher könne jeder Mensch selbst entscheiden, welches Geschlecht er annehmen will. Woher nur kommt dieser Furor gegenüber Gender, das im Englischen das soziale Geschlecht meint im Unterschied zum biologischen Geschlecht (Sex) – und damit gerade nicht die Biologie, sondern die durch Erziehung, Sozialisation und Rollenzuschreibungen erlernten Geschlechterrollen von Frau und Mann bezeichnet? Gender meint nicht die Abschaffung des biologischen Geschlechts, wie unterstellt wird. Nein: Gender meint, dass unser Verhalten als Frau und als Mann nicht vollständig von der Biologie vorgegeben, sondern sehr stark von den uns zugeschriebenen Geschlechterrollen und den Erwartungen betreffend Verhalten und Aussehen geprägt ist. Kaum geboren, werden Babys schon einer weiblichen oder einer männlichen Welt zugeteilt: Rosa Strampler für Mädchen, blaue für Buben. Die Konsumindustrie mischt bei dieser klaren Zweiteilung der Welt kräftig mit: Prinzessinnenkleidchen für Mädchen, Superman-Leibchen für Buben, Spielzeug für Mädchen und Spielzeug für Buben, blumige Deos für Frauen und herbe Deos für Männer, Cola light für die Frau, Cola normal für den Mann. Cooler Macker, sexy Girl. So wird täglich zelebriert, was als weiblich oder als männlich zu gelten hat. Dies hat Folgen: Für das Selbstbild von Frauen und Männern, für die Berufswahl und die Lebensgestaltung. Solche Gender-Muster zu analysieren und zu verändern und für beide Geschlechter das Recht auf freie Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten zu ermöglichen, ist das Ziel von Gender-Forschung und Gender-Politik. Genderbewusste Frauen und Männer bestreiten nicht, dass es biologische Unterschiede gibt, sondern nur, dass sich daraus fixe Geschlechterrollen ableiten lassen. Sie fordern deshalb eine geschlechtergerechte Gesellschaft, in der das biologische Geschlecht Menschen nicht in starre Rollenkorsette zwängt oder soziale Ungleichheit zur Folge hat. Gender ist also auch ein Gerechtigkeitswort: Es geht darum, Menschen in ihrer individuellen Vielfältigkeit gerecht zu werden und Gerechtigkeit für Menschen in all ihrer Vielfalt anzustreben.

 

Doris Strahm

 

 

© Doris Strahm 2017