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Verweigerung von Frauenrechten aufgrund sogenannt christlicher Werte

 

Input an der Jahrestagung der NGO Koordination post Beijing Schweiz vom 25. März 2017 in Bern

 

Zur aktuellen Situation

Gegenwärtig weht Frauen ein rauer Wind entgegen. Doch christliche Kreise machen nicht erst heute gegen Frauenrechte mobil. Seit der 4. Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995, an der bekräftigt wurde, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, bekämpfen fundamentalistische christliche Kreise sowie der Vatikan die reproduktiven Rechte der Frauen und ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Die römisch-katholische Kirche ist dabei federführend und hat eine regelrechte Gegenstrategie aufgebaut, um gegen die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen vorzugehen und ebenso gegen LGBT-Rechte.[1] Diese Gegenstrategie wurde am Begriff "Gender" entwickelt, der in den Dokumenten der Weltfrauenkonferenz verwendet wurde und vom Vatikan als Ideologie, als Genderismus bekämpft wird. Im Jahr 2000 sprach der Päpstliche Rat für die Familie erstmals von "Gender-Ideologie".[2] Diese "Ideologie" stelle die natürlichen Unterschiede von Mann und Frau in Frage und höhle die Fundamente der Familie aus. Evangelikale Fundamentalist_innen und der Vatikan sind sich in dieser Sache einig: Gender ist eine Sünde gegen den Schöpfergott, denn Gender stelle Gottes Schöpfungsordnung in Frage und propagiere die völlige Abschaffung der Unterschiede zwischen Mann und Frau, sodass der Mensch letztlich selbst bestimmen könne, welches Geschlecht er annehmen will. Wer der Gender-Ideologie anhänge, betreibe die Auflösung christlicher Werte.

Die bewusste Umdeutung von Gender zu Gender-Ideologie dient dazu, sich einerseits einer argumentativen Auseinandersetzung zu entziehen und andererseits gegen alles vorzugehen, das in den Augen des Vatikans die Fundamente der traditionellen patriarchalen Gesellschaftsordnung in Frage stellt wie Homosexualität, gleichgeschlechtliche Ehen, Abtreibung, der Wandel der sozialen Geschlechterrollen, Patchwork-Familien usw. Diese Anti-Gender-Strategie wurde von Papst Paul II (1978-2005) begonnen, der bereits im Juni 1995, im Vorfeld der Weltfrauenkonferenz in Beijing, einen Brief "An die Frauen" verfasste, in dem er die komplementäre Beziehung von Mann und Frau bzw. die heteronormative Geschlechterordnung als die einzig wahre hervorhob; sie wurde von Papst Benedikt XVI (2005-2013) vorangetrieben, der in mehreren Reden kritisierte, die Gender-Theorie stelle die schöpfungsmässige Natur des menschlichen Wesens als Mann und Frau in Frage; und sie wird auch vom neuen Papst Franziskus fortgeführt. In seinem Lehrschreiben "Amoris Laetitia" von 2016 tut Papst Franziskus Gender als Ideologie ab, die den Unterschied und die natürliche Verwiesenheit von Mann und Frau leugne und die anthropologische Grundlage der Familie aushöhle. Die Homo-Ehe lehnt er rundweg ab. Im Oktober 2016 warnte er auf einer Reise in den Kaukasus vor einem "weltweiten Krieg, um die Ehe zu zerstören". Dieser werde nicht mit Waffen geführt, sondern durch "ideologische Kolonisierung". Man müsse die Ehe verteidigen gegen den grossen Feind der Gendertheorie.

Die scharfen Worte machen klar: Mit aller Kraft wird versucht, das traditionelle Modell von Ehe und Familie und die Komplementarität der Geschlechter als gottgewollte Ordnung und "natürliches" Fundament der Gesellschaft zu verteidigen. In einigen europäischen Ländern hat die katholische Kirche direkten Einfluss auf die Polarisierung der Gesellschaft in Genderfragen, so z.B. in Spanien, Polen, Frankreich, Italien, Kroatien und der Slowakei.[3] Und auch in der Schweiz mobilisieren christlich-fundamentalistische und evangelikale Kreise gegen Gender: so z.B. der Churer Bischof Vitus Huonder im Dezember 2013 in einem Hirtenwort mit dem Titel: "Gender – Die tiefe Unwahrheit einer Theorie" oder 2014 die Stiftung "Zukunft CH" mit einer Online-Petition "Kein Gender im Lehrplan 21".

Der Kampf gegen Gender und Frauenrechte wird nicht allein vom Vatikan und einigen Bischöfen geführt, sondern von unheiligen Allianzen zwischen katholischen Aktivist_innen, evangelikalen und christlich-fundamentalistischen Kreisen sowie rechtspopulistischen Gruppierungen und Parteien, die auch politisch Front gegen Gender und Frauenrechte machen. In Frankreich mobilisierte die Gruppe "La manif pour tous" 2012 und 2014 Tausende bei Demos gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. In Polen haben rechtskonservative Kreise im Verbund mit der katholischen Kirche im Herbst 2016 versucht, das bereits sehr restriktive Abtreibungsgesetz nochmals zu verschärfen und selbst bei Vergewaltigung Abtreibung zu verbieten. Das Parlament hat dann den Gesetzesentwurf wegen massiver Proteste von Frauen abgelehnt. In Deutschland fordern AfD und Pegida eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes und die exklusive Privilegierung der traditionellen Familie vor allen anderen Lebensformen. Rechte Parteien nutzen die Gender-Ideologie-Debatte dabei als Instrument, um neue Wähler_innen zu gewinnen und/oder alte Wähler_innen zu mobilisieren wie in Frankreich, Deutschland, Ungarn und Polen.[4]

So versucht derzeit eine gefährliche Allianz von christlich-konservativen, fundamentalistischen und rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Kräften unter dem Label "Anti-Genderismus" Frauenrechte und LGBT-Rechte einzuschränken und eine konservative Geschlechterordnung und sog. "christliche Werte" politisch durchzusetzen.

 

Christlicher Fundamentalismus als patriarchale Protestbewegung

Sowohl Rechtspopulismus wie Fundamentalismus ist gemeinsam, dass sie in Krisenzeiten Gewissheit, eine "Komplexitätsreduktion" und stabile Identitäten versprechen angesichts der Unübersichtlichkeit einer globalisierten Welt. Religiöse Fundamentalismen haben sich überall im Zuge von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen entwickelt, schreibt der Fundamentalismusforscher Martin Riesebrodt. Daher ähneln sie sich in ihren Formen und Ideologien in allen Religionen. Auch der christliche Fundamentalismus, von dem der Begriff des Fundamentalismus stammt, hat sich ursprünglich als eine Reaktion auf die Moderne gebildet, ist also ein spezifisches Phänomen der Moderne selbst: nämlich eine soziale und kulturelle Reaktion auf die Unsicherheiten, Ängste und Konflikte, die mit "Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen" verbunden sind und als Krise erfahren werden. Der religiöse Fundamentalismus bietet sich als Lösung der Widersprüche an, die innerhalb der Gesellschaft, aber auch des religiösen Weltbildes aufbrechen, und er verspricht, diese durch die Rückkehr zu den Fundamenten der Religion zu überwinden.[5] Er stellt so gesehen die zur Moderne gehörende Kehr- und Schattenseite dar – eine "patriarchale Protestbewegung" (Martin Riesebrodt) gegen die als gottlos erlebte säkularisierte Welt. Absonderung ist daher für Fundamentalist_innen zentral: Sie bilden so etwas wie eine "Zeltmentalität" aus (Susanne Heine), die nach innen Sicherheit in einer Gruppenidentität bietet und nach aussen eine strikte Grenze zieht zur sündigen, moralisch verfallenen feindlichen Welt.

Die römisch-katholische Variante des Fundamentalismus teilt mit dem protestantischen den antimodernen Affekt, betont aber weniger die Autorität der Schrift, sondern legt den Akzent auf Tradition, Lehramt und eine streng hierarchische Ordnung.[6] Im protestantischen Fundamentalismus dagegen gilt die Bibel, verstanden als verbal inspiriertes Wort Gottes, als Fundament, das klare Antworten für die Fragen des Alltags und einen ewigen Moralkodex liefert. Gegen moralische "Verfallserscheinungen" der Moderne wie die Emanzipation der Frau, die Auflösung patriarchaler Geschlechterrollen und Familienstrukturen und gegen die sexuelle Revolution führen aber beide Varianten des Fundamentalismus sog. christliche Familienwerte und eine rigide Sexualmoral als gottgegebene Fundamente der Gesellschaft ins Feld. Argumentiert wird mit einer "natürlichen" und biblisch legitimierten Schöpfungsordnung, die im ersten Buch Mose 1,27 niedergelegt sei. Hier würden klare biologische Unterschiede, Zweigeschlechtlichkeit und die heterosexuelle Ehe durch die göttliche Schöpfung begründet. Doch von patriarchalen Geschlechterrollen und der heterosexuellen Ehe ist im 1. Schöpfungsbericht der Bibel nirgends die Rede! Im Bibeltext steht: "Gott schuf die Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er sie, männlich und weiblich schuf er sie." Im 1. Schöpfungsbericht (Gen 1,27) geht es um die Erschaffung der Menschheit, die männlich und weiblich geschaffen wird. Moni Egger, feministische Bibelwissenschaftlerin, schreibt dazu: "Es geht hier nicht darum, dass Gott einen Urmann und eine Urfrau erschaffen hätte, sondern dass die Menschheit als Ganzes geschaffen wird. In ihr gibt es eine einzige Differenzierung, nämlich Weiblichkeit und Männlichkeit. Bemerkenswert dabei: Das hebräische Wort für männlich (sachar) hat sprachlich nichts zu tun mit dem Wort für Mann (isch), genauso unterscheidet sich weiblich (neqewa) von Frau (ischa). Männlichkeit und Weiblichkeit wird in diesem Text also nicht bestimmten Menschen zugesprochen, sondern sie bilden zwei Pole der Menschheit. Zwei Pole, die durchaus auch Vielfalt zulassen oder zumindest nicht auf einzelne Individuen festgelegt sind."[7] Mit anderen Worten: Es werden in Gen 1,27 keine (biologischen) Geschlechtsmerkmale definiert, keine schöpfungsmässigen männlichen oder weiblichen Geschlechterrollen festgelegt, keine hierarchischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern ausgesagt.

Wie wir sehen, lesen Fundamentalist_innen die biblische Schöpfungsgeschichte also nicht einfach wörtlich, wie sie behaupten, sondern mit einer patriarchal gefärbten Brille. Das heisst: Sie lesen das traditionelle christliche Modell der heterosexuellen Ehe und der hierarchischen Komplementarität der Geschlechter in den Bibeltext hinein! Mit der Absicht, ihr patriarchales Weltbild und ihre patriarchalen Wertvorstellungen biblisch zu legitimieren.

 

Genderfragen als Herzstück fundamentalistischer und christlich-konservativer Ideologien

Auffällig ist, dass in allen Ausformungen von religiösem Fundamentalismus, auch des christlichen, Genderfragen und Sexualmoral zentral sind. Das hat zum einen damit zu tun, dass der christliche Fundamentalismus, wie alle religiösen Fundamentalismen, zutiefst patriarchal ist, als "radikaler Patriarchalismus" zu verstehen ist: Die patriarchale Familie sowie die traditionellen Geschlechterrollen von Mann und Frau gelten als die von der göttlichen Schöpfungsordnung grundgelegte Gesellschaftsstruktur. Wer sich nicht mann- oder fraugerecht verhält, verstösst gegen Gott und die Natur! Deshalb liegt die politische Stossrichtung des Fundamentalismus darin, die patriarchale Familie sowie patriarchale Geschlechterrollen und Sexualmoral zu zementieren und die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen einzuschränken. Zum anderen reagiert der Fundamentalismus aber auch auf die radikalen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, was das Geschlechterverhältnis, die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen, die Rechte von Schwulen, Lesben und Trans*Menschen betrifft, und die ihre Weltordnung und ihr Wertesystem radikal in Frage stellen. Der Kampf gegen "Gender" und gegen "Frauen- und LGBT-Rechte" ist deshalb für fundamentalistische Christ_innen ein wichtiger Mobilisierungsfaktor im Kampf gegen die unmoralische moderne Welt, gegen die Schwächung männlicher Autorität und patriarchaler Macht und gegen einen säkularistischen, gottlosen Staat.[8]

 

Der Körper der Frau als Schauplatz fundamentalistischer Ideologie und Werte

Das Geschlecht bzw. die Geschlechterordnung ist der einflussreichste Code, der von jeder Gemeinschaft zur Definition von Normalität und zu Grenzziehungen gegenüber den "Anderen" aktiviert wird, meint die Kulturwissenschaftlerin und Genderforscherin Ulrike Auga.[9] In allen religiösen fundamentalistischen Bewegungen ist es dabei stets der Körper der Frau, der dazu dient, die Ideologie und die Werte der eigenen Gemeinschaft festzumachen – als Abgrenzung nach aussen und als Disziplinierung nach innen. Eine rigide Sexualmoral, die den Körper der Frau kontrolliert, seine Reinheit und Keuschheit fordert (und nicht etwa die des Mannes), ist ein wesentliches Merkmal religiös-fundamentalistischer Bewegungen, die sich gegen die "Verderbtheit" der modernen Welt stellen. Denn diese Verderbtheit der Welt bzw. der Verfall der "christlichen" Werte, ist durchgehendes Thema fundamentalistischer Gesellschaftskritik. Da Frauen als die Quelle dieser Unmoral gelten, wird die Bewältigung der Krisen weitgehend über den Körper der Frau ausgetragen: über die Kontrolle des weiblichen Körpers, seiner Sexualität und reproduktiven Macht.[10] Daraus erklärt sich auch die obsessive Beschäftigung mit der Keuschheit der Frau und der Reinheit des weiblichen Körpers sowie seiner angeblich "satanischen Verführungs- und Zerstörungskraft". Der weibliche Körper muss züchtig bedeckt oder verhüllt sein, damit er nicht die männlichen Leidenschaften erregt; Frauen werden durch strikte moralische Normen und Regeln eingehegt.

Dahinter steht das negative Frauenbild der christlichen Tradition und der alte Mythos von Eva, die den Mann zur Sünde verführt habe – wobei diese Verführung als sexuelle interpretiert wird. Sexualität gilt als sündig und ist nur in der Ehe erlaubt – und in der römisch-katholischen Version auch nur zum Zwecke der Fortpflanzung, weshalb Pille und Kondome vom Vatikan bis heute verboten sind. Der Frauenkörper ist so der zentrale Schauplatz fundamentalistischer und auch konservativer christlicher Ideologie und Praxis. Es stellt sich die Frage:

 

Ist Religion schlecht für Frauen?

Dieser Frage geht die Politologin Anne Jenichen in einem Artikel nach, der empirische Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen öffentlichen Religionen und den Menschenrechten der Frau vorstellt.[11] Sie vertritt darin die These, dass nicht Religion an sich ein Problem für die Menschenrechte von Frauen darstellt, sondern die Privilegierung patriarchaler Interpretationen von Religion bzw. die Marginalisierung progressiver Interpretationen, wie sie in vielen Kontexten heute stattfindet. Die gleichzeitige Existenz religiöser Akteure und Argumente, die die Menschenrechte von Frauen einzuschränken versuchen, und derjenigen, die sich für deren Respektierung einsetzen, mache deutlich, dass Religion ein dynamisches Konzept ist: Religion kann sowohl Mittel zur Stützung männlich dominierter Machtstrukturen sein als auch ein [12] Mittel, um Macht und überkommene Geschlechterhierarchien herauszufordern. So gibt es auch in der christlichen Religion viele progressive Strömungen wie z.B. feministische, befreiungstheologische, postkoloniale und Queertheologien, die in der Religion drin bleiben wollen und aufzeigen, wie diese emanzipatorisch ausgelegt werden kann und nicht grundsätzlich als Gegensatz zu den Rechten der Frau gesehen werden muss.

Christliche Frauen haben überall auf der Welt die Initiative ergriffen, um ihre Rechte einzufordern, und sich den Zugang zu religiösen Rollen erkämpft, die mit Autorität und Interpretationsmacht ausgestattet sind. Es sind kontextuelle feministische Theologien und Frauennetzwerke entstanden, die sich aktiv an der Interpretation und Gestaltung ihrer Religion beteiligen und eine Transformation herbeiführen wollen. Frauen beziehen sich dabei auf den Impuls zur Gleichstellung, der in der christlichen Religion als Grundintention angelegt ist, der aber in der Geschichte von männlichen (Macht-)Interessen überlagert worden ist. Deshalb und auch vor dem Hintergrund, dass Religion in weiten Teilen der Welt für die Mehrheit der Menschen eine grosse Bedeutung hat, gerade auch für Frauen, gilt es, den Fundamentalisten nicht die Deutungshoheit über die "christliche" Religion und "christliche" Werte zu überlassen, sondern Gegenwissen und Gegenstrategien zu formieren gegen die dominanten patriarchalen Diskurse, wie Ulrike Auga an der Tagung "Menschenrechte auf dem Prüfstand: Frauenrechte zwischen Religion, Kultur und Politik" vom 4. März 2017 in Luzern postulierte.[13]

 

Feministische Strategien gegen religiöse Fundamentalisten

Es wird bei diesen Gegenstrategien immer auch um das Angreifen der Machtposition von Männern, allen voran von Fundamentalisten, gehen. Und dies können wir als Frauen nur gemeinsam schaffen. Es braucht also eine Frauenrechtspolitik, die nicht einfach eine Anti-Religion- oder gar eine Anti-Islam-Strategie ist, wie sie heute oftmals von säkularen Feministinnen vertreten wird. Es braucht vielmehr eine Frauenrechtspolitik, die den Missbrauch von Religion zur Durchsetzung patriarchaler Macht durch Fundamentalisten aller Religionen anprangert und die sich nicht spalten lässt, sondern die Handlungsfähigkeit stärkt!

Nötig wäre deshalb mehr Dialog und Austausch: zwischen Frauen verschiedener Religionsgemeinschaften über ihre Erfahrungen mit den Fundamentalisten in ihren eigenen Reihen und über ihre Gegenstrategien; aber auch Austausch zwischen religiösen Frauen, die sich in ihren Religionsgemeinschaften für die Veränderung patriarchaler Traditionen und für Frauenrechte einsetzen, und säkularen Frauenrechtlerinnen, wie dies heute an dieser Tagung geschieht. Nötig wäre also eine "Politik der Gemeinsamkeit", die sich am gemeinsamen Ziel ausrichtet und damit versucht, einen wirksamen gesellschaftlichen Gegendiskurs aufzubauen.[14]

Säkulare Feministinnen müssten sich dazu allerdings der Erkenntnis öffnen, dass Religion nicht per se gleichzusetzen ist mit Fundamentalismus, Frauendiskriminierung und Unaufgeklärtheit, dass also Frauenrechte und Religion durchaus vereinbar sind – und dass es starke Allianzen zwischen säkularen und religiösen Feministinnen braucht, um Frauenrechte in unserer Welt durchzusetzen und vor Fundamentalismen jeder Couleur zu schützen.

 

Doris Strahm

 

Fussnoten:

1  Vgl. dazu ausführlich: David Paternotte, Blessing the Crowds. Catholic Mobilisations against Gender in Europe, in: Sabine Hark/Paula-Irene Villa (Hg.), Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld 2015, 129-147.

2  Seinen Ursprung hat der Begriff "Gender-Ideologie" im Vatikan: Im Jahr 2000 sprach der Päpstliche Rat für die Familie zum ersten Mal von einer "gewissen Gender-Ideologie" und empfahl, diese "eingehender" zu untersuchen. Dazu ausführlicher Bożena Chołuj, "Gender-Ideologie" – ein Schlüsselbegriff des polnischen Anti-Genderismus’, in Hark/Villa (Hg.), Anti-Genderismus, 220f.

3  Vgl. Jadranka Rebeka Anić, Anti-Gender Bewegung: Beitrag zur Bewertung eines Phänomens, in: ESWTR Jahrbuch 2016, Vol. 24, Leuven 2016, 21f.

4  Vgl. Anić, Anti-Gender Bewegung, 23.

5  Martin Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der "Kampf der Kulturen", München 2000, 52-55.

6  Vgl. René Buchholz, Falsche Wiederkehr der Religion. Zur Konjunktur des Fundamentalismus, Würzburg 2017. Es ist strittig, ob der Begriff des Fundamentalismus auch auf den römischen Katholizismus angewendet werden kann, da der Begriff ursprünglich als Selbstbezeichnung aus dem US-amerikanischen Protestantismus stammt.

7  Moni Egger, Fehlübersetzungen mit Folgen. Korrekturen zur "biblischen Schöpfungsordnung", 2016, PDF, online auf: www.aboutgender.ch

8  Vgl. dazu Martin Riesebrodt, Fundamentalism and Gender, in: Ulrike Auga, Christina von Braun u.a. (Hg.), Fundamentalism and Gender. Scripture – Body – Community, Wipf and Stock Publishers, Eugene/Oregon 2013, 68-70.

9  Ulrike Auga, Die "Anderen" definieren – Geschlechterordnungen als Grenzziehungen, in: FAMA. Feministisch-theologische Zeitschrift, Heft 1/2009, 8.

10  Vgl. Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen, 121.

11  Anne Jenichen, Ist Religion schlecht für Frauen? Empirische Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen öffentlichen Religionen und den Menschenrechten der Frau, in: Zeitschrift für Menschenrechte, Vol. 5/2011, Nr. 1, 6-20.

12  Jenichen, Ist Religion schlecht für Frauen?, 7

13  Die Tagung wurde von der IG Feministische Theologinnen, der feministisch-theologischen Zeitschrift FAMA, dem Interreligiösen Think-Tank und dem RomeroHaus Luzern organisiert.

14  Vgl. Anne Jenichen, Frauenrechte und Religionsfreiheit in Europa: ein Plädoyer für Versöhnung statt Hierarchisierung, in: GENDER: Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 6. Jg./2014, Heft 3, 139-146, 143.

 

 

© Doris Strahm 2017