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Frauenrechte und Religion – ein spannungsvolles Verhältnis

 

"Frauenrechte sind Menschenrechte." Was uns heute selbstverständlich erscheint, war nicht immer so. Die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948 verspricht zwar allen Menschen, dass sie ihre Rechte frei von Diskriminierung wahrnehmen können. In der Praxis wurde das Menschenrechtssystem jedoch vor allem von Männern ausgestaltet; die Lebensrealitäten von Frauen waren kaum im Fokus. Mit dem Slogan "Frauenrechte sind Menschenrechte" wurde von Frauenorganisationen deshalb jahrelang dafür gekämpft, dass Menschenrechtsverletzungen, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts erleiden, in den Menschenrechtskatalog aufgenommen werden. Auf der 2. Menschenrechtsweltkonferenz 1993 in Wien wurde erstmals festgelegt, dass die Menschenrechte der Frauen und der Mädchen ein unveräusserlicher, integraler und untrennbarer Bestandteil der universellen Menschenrechte sind. Und auch auf der 4. Weltfrauenkonferenz, die 1995 in Beijing stattfand, wurde bekräftigt, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. In der anlässlich dieser Konferenz verabschiedeten Aktionsplattform verpflichten sich die Staaten, die Gleichstellung der Geschlechter in allen Gesellschaftsbereichen voranzutreiben, die Rechte der Frauen zu schützen, Frauenarmut zu bekämpfen, geschlechtsspezifische Diskriminierungen in den Gesundheits- und Bildungssystemen abzubauen und Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung zu verfolgen.

 

Religiöse mobilisieren gegen Frauenrechte

Doch schon im Vorfeld der 4. Weltfrauenkonferenz und erst recht danach begannen fundamentalistische christliche Kreise, der Vatikan und einige islamische Staaten die reproduktiven Rechte der Frauen sowie ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu bekämpfen und Frauenrechte einzuschränken. Wie schon beim Kampf ums Frauenstimmrecht wurde von religiös-konservativen Kreisen versucht, eine patriarchale Familien- und Geschlechterordnung als naturgemäss und als gottgewollt zu postulieren und damit religiös zu legitimieren. Vor allem der Begriff "Gender", der in den Dokumenten der Weltfrauenkonferenz verwendet wurde und der die sozial erworbenen und kulturell geprägten Geschlechterrollen meint, wurde vom Vatikan vehement bekämpft. Denn die "Gender-Ideologie" stelle die natürlichen Unterschiede von Mann und Frau in Frage und höhle die Fundamente der Familie aus. Seither gibt es eine regelrechte Kampagne des Vatikans gegen den angeblichen "Genderismus" bzw. gegen das, was der Vatikan diesem Begriff unterstellt: dass er nämlich die völlige Abschaffung der Unterschiede zwischen Mann und Frau propagiere, sodass der Mensch letztlich selbst bestimmen könne, welches Geschlecht er annehmen will. Auch Papst Franziskus hat diese Sicht wiederholt vertreten. Die bewusste Umdeutung und Verunglimpfung des Begriffs "Gender" zu "Gender-Ideologie" oder "Genderismus" dient dazu, gegen alles vorzugehen, was in den Augen des Vatikans die Fundamente der traditionellen patriarchalen Gesellschaftsordnung in Frage stellt, wie z.B. die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen, der Wandel der sozialen Geschlechterrollen, Patchwork-Familien und Homo-Ehen. Der Kampf gegen die angebliche "Gender-Ideologie", der sich aktuell in Europa immer mehr ausbreitet, wird nicht nur vom Vatikan geführt. Er vereint evangelikale, fundamentalistische, rechtsnationale und rechtsradikale Kreise, was die Sache höchst gefährlich macht, denn wo Religion und rechtsnationale Politik sich verbinden, steht es meist schlecht um die Rechte von Frauen!

Auch in anderen Religionsgemeinschaften mobilisieren religiöse und politische Autoritäten Glaubenslehren, um Frauenrechte zu beschränken. Und wie in konservativ-christlichen Kreisen geschieht dies meist durch eine patriarchale Interpretation der Heiligen Schriften, um damit die Vorrangstellung des Mannes und die traditionelle Geschlechterordnung als göttlichen Willen und damit als unveränderlich auszugeben. Im Namen von Religion werden Frauen weltweit gegenüber den Männern diskriminiert und in ihrem Selbstbestimmungsrecht beschnitten. Auch Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen werden mit religiösen Lehren oder Werten gerechtfertigt. Stehen Frauenrechte und Religion also in einem fundamentalen Widerspruch, wie viele säkulare Frauenrechtlerinnen behaupten?

 

Ambivalente Religionen

Religionen stehen nicht per se in Widerspruch zu Menschen- und Frauenrechten. Doch sie werden immer von Menschen in einem bestimmten geschichtlichen Kontext gelebt und von ihren Interessen geprägt. Weltweit ist dieser Kontext eine patriarchale Gesellschaft und Kultur, die auch die religiösen Lehren über Jahrhunderte beeinflusst haben, welche dann wiederum die patriarchale Ordnung religiös legitimieren. Umgekehrt haben religiöse Grundwerte wie Gerechtigkeit und die Gleichheit aller Menschen vor Gott emanzipatorische Bewegungen inspiriert und Frauen ermutigt, ihre religiösen Gemeinschaften und religiös geprägten Gesellschaften von innen heraus zu reformieren und geschlechtergerecht zu gestalten.

Religion spielt im Leben vieler Frauen weltweit eine wichtige Rolle. Doch viele Frauen sind nicht mehr bereit, die theologische Interpretationsmacht allein den Männern zu überlassen und kritisieren die patriarchale Vereinnahmung ihres religiösen Erbes. So lesen zum Beispiel immer mehr jüdische, christliche und muslimische Frauen die Heiligen Schriften ihrer Religion mit eigenen Augen, stellen die religiöse Definitionsmacht von Männern in Frage und entwickeln Ansätze einer auch für Frauen befreienden Auslegung ihrer Religion. Quelle ihres Engagements für die vollen Menschenrechte der Frauen sind zum Beispiel die Lehre von der schöpfungsmässigen Gleichwertigkeit der Geschlechter, wie wir sie in Bibel und Koran finden. Religionen sind also nicht nur Instrument der Unterdrückung von Frauen, sondern auch der Befreiung. Und häufig sind es gerade religiöse und spirituelle Quellen, die Frauen ermutigen und ermächtigen, gegen Diskriminierung und Gewalt zu kämpfen – im Namen des unverfügbaren Göttlichen, von dem her sie die "Vergöttlichung" männlicher Herrschaft als illegitim entlarven und zurückweisen.

 

Gemeinsam gegen Fundamentalismus

Überall auf der Welt nehmen fundamentalistische Tendenzen in Religion und Politik zu. Dies stellt besonders für die Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen eine grosse Gefahr dar. Wer für Frauenrechte eintritt, muss sich gegen Fundamentalismus einsetzen – in welchem religiösen Gewand er auch immer daherkommt. Frauenrechtspolitik ist deshalb ein zentrales Element einer Anti-Fundamentalismus-Strategie. Aber diese Strategie darf sich nicht einseitig gegen den Islam richten, wie dies aktuell auch einzelne Feministinnen tun. Nötig ist vielmehr eine internationale Frauenpolitik, die den Missbrauch von Religion zur Durchsetzung patriarchaler Macht durch Fundamentalisten aller Religionen anprangert. Und es braucht das gemeinsame Engagement säkularer und religiöser Frauen, um Frauenrechte in unserer Welt durchzusetzen und vor Fundamentalisten jeder Couleur zu schützen.

 

Doris Strahm

 

 

Interview – Frauenrechte und Religion

 

Frauen kommen im Namen von Religionen immer wieder unter die Räder. Wenn man alles zusammennimmt, leiden Frauen dann mehr unter der Religion, als dass sie davon profitieren?

Wenn man die real existierenden Religionen anschaut, dann ist es auf den ersten Blick tatsächlich so, dass Frauen mehr leiden als profitieren. Weil in allen Religionsgemeinschaften bis heute die Männer das Sagen haben und darüber bestimmen, was die Rolle der Frau ist, was ihre Rechte und eben Nicht-Rechte sind. Sie legen die religiösen Quellen so aus, dass sie ihnen nützen und das patriarchale System stützen, das Frauen benachteiligt.

Auf der anderen Seite ist es jedoch so, dass Religionen nicht in ihrer Kernbotschaft schon frauenfeindlich sind. Sie beinhalten Werte wie Gerechtigkeit, gerechte Beziehungen, Schutz der Schwachen und dass Männer und Frauen vor Gott gleich sind. Gelebt wird Religion aber in der Gesellschaft, die auf patriarchalen Wurzeln fusst, und damit die Religion beeinflusst und umgekehrt.

 

Religiöse Frauen lesen dieselben biblischen Quellen und kommen nicht zum Resultat, dass sie benachteiligt werden müssen.

Ja, denn sie finden auch Quellen, die ihre Würde und Gleichwertigkeit betonen, wie etwa die Gottebenbildlichkeit der Frau. Frauen fordern gerade aufgrund solcher und anderer Quellen die Gleichstellung und versuchen, ihre Religion im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit zu reformieren. Religion spielt weltweit gesehen im Leben vieler Frauen eine grosse Rolle und ist unverzichtbar für sie. Sie wollen sie deshalb nicht einfach den Männern überlassen.

 

Wird es in der römisch-katholischen Kirche je Gleichberechtigung geben oder ist die Unterdrückung von Frauen dort systemimmanent?

Ja, das ist sie, solange die Frauen wegen ihres Geschlechts das Weiheamt nicht erlangen können und damit von allen klerikalen Leitungsfunktionen ausgeschlossen sind, in denen über die Lehre und Praxis der Kirche entschieden wird.

 

Wovor hat der Vatikan eigentlich Angst punkto Frauen?

In erster Linie geht es um Machterhalt, das klerikal-hierarchische System soll erhalten werden; dazu kommt in der römisch-katholischen Kirche die Angst vor der Sexualität der Frau, die keinen Platz hat in einer zölibatären Männerkirche, die Sexualität eigentlich ausschliesst; und eventuell steckt auch die uralte Vorstellung von der kultischen Unreinheit der Frauen dahinter.

Die Kontrolle der weiblichen Sexualität kommt aber auch im ultra-orthodoxen Judentum, in konservativen Strömungen des Islam und anderen Religionen vor, indem Frauen zu Keuschheit und Reinheit verpflichtet, mit einer strikten Sexualmoral eingehegt werden und sich züchtig kleiden oder verhüllen müssen.

 

Wenn Sie von Frauenrechten sprechen meinen Sie nicht nur ihre Rechte innerhalb der Kirchen?

Nein, in erster Linie geht es dabei um Menschenrechte von Frauen, z.B. die sexuelle Selbstbestimmung und sexuelle und reproduktive Rechte wie das Recht auf Verhütung oder Abtreibung. Diese Frauenrechte werden vom Vatikan und von religiös-fundamentalistischen Kreisen bekämpft.

 

Gibt es aktuelle Fälle, in denen die Politik diese Einschränkung von Frauenrechten unterstützt?

In Polen gab es letztes Jahr Bestrebungen der Regierung, Abtreibung selbst in Fällen von Vergewaltigung unter Strafte zu stellen. Das Parlament hat dann den Gesetzentwurf wegen massiver Frauenproteste abgelehnt.

 

Wie verhält es sich in der reformierten Kirche, die oben immer noch patriarchal ist und unten «verweiblicht», was auch wieder zu Polemiken führt.

«Verweiblichung» ist natürlich abschätzig gemeint. Übersetzt heisst das auch, dass etwas nicht mehr «richtig» ist, jetzt, da es zunehmend Pfarrerinnen gibt. Richtig heisst in diesem Fall offenbar «männlich». Auch die reformierte Kirche ist trotz der formalen Gleichstellung in Vielem immer noch patriarchal geprägt.

 

Inhaltlich gibt es die Ungleichstellung von Frauen auch in der reformierten Kirche?

Wenn sich der kirchliche Stil ändert, weil mehr Frauen mitarbeiten und ihn prägen, und diese Veränderung als eine «Verweiblichung» bedauert wird, dann passiert das, was in allen Männerberufen passiert, wenn viele Frauen ihn ergreifen: Er wird abgewertet.

 

Warum müssen zuerst immer die Frauen leiden, wenn fundamentalistische Tendenzen zunehmen?

Weil in allen religiösen fundamentalistischen Bewegungen es stets der weibliche Körper ist, der dazu dient, die Ideologie und die Werte festzumachen, indem man ihn kontrolliert, seine Reinheit und Keuschheit fordert - und nicht etwa die des Mannes. Eine patriarchale Geschlechterordnung sowie eine rigide Sexualmoral, die den Körper der Frau kontrolliert, gehören zentral zu religiös-fundamentalistischen Bewegungen, die sich gegen die «Verderbtheit» der modernen Welt stellen.

 

Dann sind auch die Anti-Gender-Bewegungen nicht zufällig am Erstarken?

Es sind religiös-konservative Kreise, die dieses Gender-Bashing betreiben und  auch gegen Abtreibung sind, gegen die Homo-Ehe usw. Auch hier geht es um Werte, die in erster Linie Frauen benachteiligen. Anti-Genderismus ist in Europa schwer am Kommen, in Deutschland stärker als in der Schweiz; dort sind es neben religiösen Kreisen z.B. die rechtspopulistische AfD und Pegida, die gegen Gender hetzen. Rechtsnationale Bewegungen und religiöser Fundamentalismus gehen oft Hand in Hand.

 

Was passiert, wenn Feministinnen im Namen von Frauenrechten gegen den Islam wettern?

Diese Frauen machen aus einer Frauenrechts- eine Anti-Islam-Debatte und das halte ich für falsch. Damit machen sie den Islam zum einzigen grossen Feind der Frauenrechte und stellen ihn als eine Einheit dar, dabei ist der Islam so vielfältig wie alle anderen Religionen auch. Zudem schränken andere Religionen Frauenrechte ebenfalls ein, das wird in dem Moment aber ausgeblendet. Und es ist politisch gefährlich, weil es auf eine fremdenfeindliche Abwertung der Muslime hinausläuft, was der politischen Rechte in die Hände spielt, die dann noch mehr sagen können, sie bekämpfen den Islam im Namen der Frauenrechte, was ja total scheinheilig ist. Man muss diese Debatte führen, aber mit Blick auf alle Religionen.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Tagung zu "Frauenrechten und Religion" zu organisieren?

Die Anti-Islam-Debatte einiger Feministinnen sowie der Anti-Genderismus gewisser christlicher Kreise haben uns dazu bewogen, in einem grösseren Rahmen grundsätzlich zu fragen, wo Religionen Frauen und ihre Rechte einschränken und wo sie sie bestärken. Und unter welchen sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen sie befreiend oder einschränkend sind. Es ist eine Fächer übergreifende Tagung mit Referentinnen aus der Politik, der Religions- und Kulturwissenschaft, der Theologie, der Soziologie und Politologie, die sich seit längerem mit dem Thema beschäftigen.

 

Was wollen Sie mit der Tagung erreichen?

Aus den Erkenntnissen, die wir gewinnen werden, wollen wir konkrete Strategien ableiten, was man tun kann, um weltweit gegen die Einschränkungen von Frauenrechten anzukommen. Zudem möchten wir religiöse und säkulare Feministinnen vernetzen und haben auch Frauenrechts- und Menschenrechtsorganisationen, Gleichstellungsbüros und feministische Gruppen als Adressatinnen im Blick. Denn es braucht das Engagement aller Kreise, um angesichts der aktuellen Entwicklungen Frauenrechte in unserer Welt zu schützen.

 

Erschienen unter dem Titel «Frauen und Religion – (k)ein Traumpaar» in: Doppelpunkt. Das evangelische Wochenmagazin, Heft 7/2017

 

© Doris Strahm 2017