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Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) tagte vom 5. bis 7. März 2012 in Delsberg und befasste sich u.a. mit der Fastenopferkampagne "Mehr Gleichberechtigung heisst weniger Hunger". Die Bischöfe begrüssen es, dass dieses Jahr die Kampagne einem besonders stossenden Aspekt der Ungleichheit zwischen Mann und Frau gilt: Zwischen 60 und 70 Prozent der Hungernden sind Frauen, wie den UNO-Statistiken zu entnehmen ist. Die Frauen, die "die Welt ernähren", haben am wenigsten zu essen. Sie lehnen aber die Gender-Ideologie und die extremen Formen des Feminismus ab, welche die Differenz der Geschlechterrollen allein als Konstrukt des Subjekts und der gesellschaftlichen Konvention verstehen und den Boden der biblischen Offenbarung wie auch des Alltagsverstands der meisten Menschen verlassen haben. Es ist angeraten, den Begriff "Gender" nur dann zu verwenden, wenn sichergestellt ist, dass sein Gebrauch nicht als Zustimmung zur Gender-Ideologie verstanden werden kann.

 

Kommentar zu den bischöflichen Aussagen zur "Gender-Ideologie" der Fastenopfer-Kampagne 2012

Eigentlich war ich der Meinung, dass mich nichts mehr erschüttern kann in Sachen Frauenfeindlichkeit römisch-katholischer Obrigkeiten. Doch offenbar finden sie immer wieder neue Anlässe, ihre unbeirrbar traditionalistische und patriarchale Weltsicht zu verfechten, wie ihr Communiqué zur Fastenopferkampagne zeigt. Endlich!, hatte ich mich gefreut, als ich das Motto der Kampagne zu Gesicht bekam, endlich machen kirchliche Hilfswerke Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit zum Thema. Endlich wird von kirchlicher Seite auf den Skandal hingewiesen, dass Armut, Hunger, Besitz, Ressourcen, Macht nicht geschlechtsneutral sind, sondern dass ein Gender-Gap, ein Geschlechter-Graben, besteht: 70% der Hungernden weltweit sind Frauen; 90 % des kultivierten Landes weltweit und des globalen Einkommens gehören Männern. Auf diese Ungerechtigkeiten macht die Kampagne aufmerksam und unterstützt Frauen, die sich mit ihren Projekten gegen dieses himmelschreiende Unrecht zur Wehr setzen und auch Frauen ein würdiges (Über-)Leben ermöglichen wollen. Ein urchristliches Anliegen, habe ich mir gedacht, das alle Christinnen und Christen, die sich in der Nachfolge Jesu sehen, aus vollem Herzen unterstützen müssten: Unrecht abbauen und auf Gerechtigkeit und ein heiles Leben, ein Leben in Würde für alle Menschen, auch für Frauen, hinwirken.

Doch nicht so die Schweizer Bischöfe: Sie warnen vor einer "Gender-Ideologie", die angeblich den Boden der biblischen Offenbarung verlässt. Was genau sie verteidigen wollen, sagen sie nicht, aber wir wissen es auch so: ein patriarchales Modell der Geschlechterdifferenz, das sie unhistorisch als natur- bzw. als gottgegeben proklamieren. Die Bewahrung dieses Geschlechtermodells scheint ihnen wichtiger als die vorbehaltlose Unterstützung der Kampagne für ein gerechteres und menschenwürdigeres Leben von Frauen. Diese zynische Haltung der Amtskirche ist nicht neu, aber sie erschüttert mich immer wieder. Und sie ist ein Verrat am Leben und Wirken des Jesus von Nazaret, in dessen Nachfolge sich die Kirche ja sieht. Jesus ging es immer um das konkrete Wohl und Heil der Menschen – gerade auch der Frauen, denen er begegnete.

Dass das Postulat von Geschlechtergerechtigkeit und der Veränderung von sozialen Geschlechterrollen, die Frauen weltweit auf die Seite der Benachteiligten verweisen, von den Bischöfen als "Gender-Ideologie" apostrophiert wird, entlarvt, worum es den kirchlichen Amtsträgern eigentlich geht: um den Erhalt der eigenen Macht, des männlichen Definitions- und Führungsmonopols und der kirchlichen Hierarchie, zu der Frauen keinen Zugang bekommen sollen. So werden Frauen mit theologisch unhaltbaren Argumenten von der Priesterweihe und der Hierarchie – der Heiligen Herrschaft – ferngehalten, um die "Reinheit" einer priesterlichen Männerkirche nicht zu gefährden.

Ironischerweise legitimieren die Amtsträger selbst ihre Macht- und Leitungsansprüche ausgerechnet mit der Kategorie "Geschlecht", indem sie das männliche Geschlecht über Jahrhunderte theologisch als das vollkommenere und Gott ähnliche Geschlecht konstruierten – "der Mann ist Gottes Abbild, die Frau aber des Mannes Abbild" – und einzig den Mann aufgrund seines Geschlechts als der Weihe würdig und damit als Repräsentanten des Gottessohnes verstehen – "nur ein Mann kann Christus im Priesteramt repräsentieren, denn Christus selbst war und bleibt nämlich ein Mann". Die römisch-katholische Amtskirche organisiert sich wie keine andere Institution auf dem Geschlecht als Strukturprinzip, d.h. sie strukturiert kirchliche Ämter und Hierarchien geschlechtlich. Die kirchlichen Obrigkeiten wären also gut beraten, ihre eigene "Gender-Ideologie" kritisch zu hinterfragen, wenn sie nicht auch noch die letzte Glaubwürdigkeit verlieren wollen.

Der Gender-Ansatz will aufzeigen, wie die Geschlechterrollen durch Sozialisationsprozesse und kulturelle und eben auch religiöse Konzepte und Normen erworben und in Alltagshandlungen permanent hergestellt werden. Als feministische und Gender-Forscherinnen zeigen wir aber auch, dass diese Frauen- und Männerrollen mit ungleichem Zugang zu gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Macht verbunden sind. Es geht uns um die Überwindung der gesellschaftlichen Ungleichheit der Geschlechter und um den Aufbau einer geschlechtergerechten Gesellschaft und Kirche. Wenn dies "extreme Formen des Feminismus" und "Gender-Ideologie" sein sollen, frage ich mich, was uns Frauen noch in dieser Kirche hält. Und wie lange es sich die Kirchenmänner noch leisten können, ihre weibliche Basis, die durch ihr kirchliches Engagement das Gemeindeleben lebendig hält, dermassen zu brüskieren. Ist es wirklich das, was die Kirchenoberen wollen: dass noch die letzte Frau realisiert, dass in dieser Kirche kein Platz für sie ist als mündige und emanzipierte Frau, dass immer mehr engagierte Frauen der römisch-katholischen Kirche den Rücken kehren – und die zölibatären Herren endlich ganz unter sich bleiben können?

 

Doris Strahm

 

 

© Doris Strahm 2012