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Feministische Nachlese zur Minarettabstimmung in der Schweiz
Das Abstimmungsergebnis vom 29. November 2009 war für viele SchweizerInnen ein Schock: 57,5% der Abstimmenden haben der von rechtsbürgerlichen Kreisen lancierten Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» zugestimmt. Gemessen an der Gesamtheit der Schweizer Stimmberechtigten waren dies ungefähr 30 Prozent. Mit demokratischen Mitteln hat eine Mehrheit eine (religiöse) Minderheit diskriminiert und in ihren Grundrechten eingeschränkt. Regierung und Parlament hatten die Verfassungsinitiative zwar für gültig erklärt, da sie nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstoße, sie aber zur Ablehnung empfohlen, da sie Grundrechte der Schweizer Verfassung wie das Recht auf Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot verletze. Linke, grüne und bürgerliche Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, kirchliche und interreligiöse Kreise, Feministinnen, Intellektuelle und Integrationsfachleute gingen deshalb davon aus, dass die Anti-Minarett-Initiative abgelehnt würde. Gestützt wurde diese Annahme durch Umfrageergebnisse im Vorfeld. Doch die rechtspopulistische SVP (Schweizerische Volkspartei) und EDU (Demokratische Union der Schweiz), die seit Jahren eine fremdenfeindliche Ausländerpolitik betreiben, haben diesmal offenbar ganze Arbeit geleistet: Mit einer diffamierenden und islamfeindlichen Kampagne haben sie gegen die mehrheitlich gut integrierten MuslimInnen in der Schweiz, die knapp 5% der Bevölkerung ausmachen, gezielt Stimmung gemacht. Die Initianten gaben im Verlauf der Kampagne offen zu, dass es ihnen nicht um die Minarette ging, sondern um den Islam als Ganzes: Mit dem Minarettverbot sollte der «schleichenden Islamisierung» ein Riegel vorgeschoben werden. Dabei wurde das Bild der Muslime in der Schweiz entsprechend negativ typisiert, wie eine aktuelle Studie zeigt (Imhof/Ettinger 2009, 4). Meinungen wurden einfach als Fakten ausgegeben. Auch die Medien haben wenig zur Differenzierung und Versachlichung der Debatte beigetragen. So wurde kaum eine Unterscheidung zwischen islamistischen Gruppierungen und der muslimischen Minderheit in der Schweiz gemacht, sondern es war generalisierend vom «Islam» und von «den Muslimen» die Rede. Muslime wurden unter Generalverdacht gestellt, bedrohlich und unaufgeklärt zu sein, und als mangelhaft integriert bezeichnet – ohne dass diese angenommenen «Gefahren» von den Medien recherchiert, d.h. mit Fakten untermauert worden wären (Imhof/Ettinger ebd.). Zudem waren AkteurInnen wie Parteien, Wirtschaftsverbände, kirchliche Kreise in der medialen Berichterstattung untervertreten: 3/4 der öffentlichen Resonanz ist zugunsten der Befürworter der Initiative ausgefallen.
Instrumentalisierung der Geschlechterfrage Gegen Ende der Abstimmungskampagne wurde von den Initianten sowie Teilen der Massenmedien die Geschlechterfrage ins Zentrum der polemisierenden Argumentation gerückt. Über das Symbol des Minaretts verhandelten sie eine Reihe von Themen, die Geschlechterverhältnisse betreffen, jedoch mit dem Islam als Religion im Allgemeinen und mit dem Minarett im Speziellen nichts zu tun haben: Zwangsheiraten, Genitalverstümmelung, Ehrenmorde. Alle diese frauenfeindlichen Praktiken gibt es auch in christlichen Gesellschaften. Ausgerechnet Männer jener Parteien, die ansonsten ein rückständiges Frauenbild propagieren und seit Jahren jedes gleichstellungspolitische Postulat in der Schweiz bekämpfen, schrieben sich «die Befreiung der armen, unterdrückten Musliminnen» auf die Fahnen. Die Abstimmung über den Bau von Moscheetürmen mutierte so zum vorgeblichen Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen. Die Vorstellung einer bedrohten Frau/Muslimin wurde zur Propagandafigur einer rechtspopulistischen fremdenfeindlichen Politik; die alltägliche Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft wurde bei einer Minderheit quasi «entsorgt». Gezielt wurde die Angst geschürt, die «fremde» Religion Islam bedrohe die Demokratie, die mühsam errungene Gleichberechtigung der Geschlechter und die Frauenrechte.
Beitrag von Frauen zum Abstimmungsergebnis Die Initianten hatten mit ihrer Taktik offenbar bei bürgerlichen und besonders bei rechts stehenden Frauen Erfolg, die mit 87% die Initiative deutlicher annahmen als rechte Männer (71%) (vgl. Vox 2010). Die Vox-Analyse der Abstimmung räumt mit der von den Medien verbreiteten Mär auf, linke feministische Frauen hätten für das Minarett-Verbot gestimmt: Nur 16% links orientierter Frauen stimmten mit Ja, weniger als ihre linken Genossen (21%). Nahrung erhalten hatte diese Interpretation durch den Diskussionsbeitrag der feministischen Autorin und Psychotherapeutin Julia Onken. Diese hat im Vorfeld der Abstimmung 4000 E-Mails verschickt, in denen sie Frauen aufrief, für ein Minarett-Verbot zu stimmen. Moscheen seien Männerhäuser, Minarette männliche Machtsymbole. Mit dem Bau von Minaretten würde gleichzeitig ein sichtbares Zeichen für die staatliche Akzeptanz der Unterdrückung der Frau gesetzt. Zwar hätte sich Onken in dieser Logik auch für ein Verbot katholischer Kirchtürme einsetzen müssen, doch um Logik ging es nicht, sondern um diffuse Ängste, um das «weibliche Unbehagen in Sachen Islam» (Onken im «Tagesanzeiger» , 1. Dezember 2009). In dieser Abstimmung hätten die Leute – anonym – ihren Frust ausgedrückt.
Im Namen welchen Feminismus’? In den Medien wurde Julia Onkens Pamphlet über die Unterdrückung der Frauen im Islam kurz vor der Abstimmung breit aufgegriffen. Ihre Befürwortung der Initiative wurde der Bevölkerung als die feministische Position verkauft, während andere fefeministische Stimmen, die das allgemeine «Islam-Bashing» nicht bedienten und sich gegen die Initiative engagierten, in den Medien kaum Gehör fanden. So wurde zum Beispiel ein «Offener Brief an Julia Onken» , den der von mir mit gegründete Interreligiöse Think-Tank (www.interrelthinktank.ch) an die Medien verschickte, von diesen nicht zur Kenntnis genommen. Im Brief kritisierten wir u.a., dass Onken mit ihrem diffamierenden Angriff auf die muslimischen Gemeinschaften in der Schweiz gerade muslimischen Frauen einen schlechten Dienst erweist. Diffamierende Angriffe und Ausgrenzungen werden nur einen Rückzug aus der Gesellschaft, eine stärkere Rückbesinnung auf konservative Positionen und traditionelle Geschlechterrollen bewirken und damit muslimischen Frauen mehr schaden als nützen. Das kann aber nicht das Ziel von Feministinnen sein – jedenfalls nicht eines Feminismus, wie wir ihn und viele andere Feministinnen in der Schweiz vertreten. Diesem geht es um die Selbstbestimmung von Frauen, was auch bedeutet, dass die anderen Frauen nicht undifferenziert nur als Opfer wahrgenommen werden, sondern als Subjekte mit einer eigenen Stimme und dass mit ihnen zusammen nach Lösungen für ihre Anliegen gesucht wird. Besser zu wissen, was für muslimische Frauen gut ist, als sie selbst, ist unseres Erachtens ein (neo-)kolonialer Gestus. Die große Resonanz des offenen Briefes bei Einzelfrauen, feministisch-theolo- gischen Organisationen und feministischen Netzwerken wie der Feministischen Koalition der Schweiz zeigte, dass Onkens Position keineswegs repräsentativ ist für die Feministinnen in der Schweiz. Doch jene Breitenwirkung, welche diese dank der Berichte in den Massenmedien erhielt, konnte der offene Brief nicht erzielen.
Selbstidealisierungen und koloniale Muster Julia Onken und ihre Gesinnungsschwestern haben nicht nur rechtspopulistischen Politikern in die Hände gespielt. Sie haben auch ein altes Muster neu aufgelegt: die Gegenüberstellung der islamisch unterdrückten und der westlich emanzipierten Frau, die fester Bestandteil einer jahrhundertelangen europäisch-kolonialen Sicht auf die islamische Welt war. Mit dieser «Selbstidealisierung» westlicher Frauen lassen sich die Gewalt gegen Frauen in der eigenen Kultur und die eigenen Defizite in Sachen Gleichstellung von Mann und Frau leichter verdrängen, und «die westliche Frau» kann sich in der Entgegensetzung zur «unterdrückten muslimischen Frau» in ihrer Selbstwahrnehmung als befreite und emanzipierte Frau bestärken (Rommelspacher 2006). Die eigene Stellung wird überhöht, indem die «arme» Muslimin nur als Opfer böser islamischer Männermacht wahrgenommen und medial als solches inszeniert wird. Fast täglich werden in den Medien Einzelfälle aneinandergereiht und hochstilisiert, um den Eindruck zu vermitteln, der Islam sei nichts anderes als eine Religion der Gewalt und der Frauenunterdrückung. Die eigene Kultur und die eigene Religion werden dabei in neokolonialer Manier als aufgeklärt und ethisch überlegen konstruiert. Dies war auch in der Minarett-Debatte zu beobachten: Von den BefürworterInnen wurde nicht nur ein monolithisches Bild von dem Christentum und dem Islam gezeichnet, die es so nicht gibt und nie gegeben hat, sondern die eigene, christliche Religion wurde als frauenfreundlich idealisiert. Die positivsten Traditionen der eigenen Religion wurden gegen die radikalen Auswüchse der anderen Religion ins Feld geführt. Die Tatsache, dass Emanzipation und politische Gleichberechtigung von Frauen in der Schweiz u.a. gegen die patriarchalen Frauenbilder der Kirche erkämpft werden mussten, wurde geflissentlich übergangen.
Wie weiter? Die Zustimmung zur Anti-Minarett-Initiative hat grundlegende Debatten über die Grenzen der direkten Demokratie und über die Spannung zwischen Initiativrecht und Rechtsstaat ausgelöst. So wird über die Möglichkeit von Ungültigkeitserklärungen von Verfassungsinitiativen bzw. die Einführung eines Vorprüfungsverfahrens für Initiativen diskutiert sowie über eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die es in der Schweiz bislang nicht gibt. Für die Schweizer Gesellschaft wäre es zudem dringend nötig, die reale Situation der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz zur Kenntnis zu nehmen, die wenig mit den verbreiteten Vorurteilen gemein hat. Für Feministinnen in der Schweiz stellt sich die Frage, was dagegen unternommen werden kann, dass nicht weiterhin ein Feminismus à la Julia Onken in den Medien die Definitionsmacht behält. Außerdem sollte die Diskussion über (neo-)koloniale Muster in gewissen feministischen Islamdebatten – und wie dadurch rechtspopulistischer Politik in die Hände gespielt wird – unbedingt weitergeführt werden. Anders als im deutschen Feuilleton findet in der Schweiz eine solche Diskussion in der medialen Öffentlichkeit noch kaum statt.
Doris Strahm
Anmerkungen 1 Die Schweiz kennt auf Bundesebene keine Gesetzes-, sondern nur Verfassungsinitiativen. Sobald 100.000 Stimmberechtigte mit ihrer Unterschrift einer Verfassungsinitiative zustimmen, muss eine Volksabstimmung über die Änderung der Verfassung durchgeführt werden. 2 So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2005, dass die Mehrheit der MuslimInnen in der Schweiz gut integriert ist und es keine Parallelgesellschaften gibt (vgl. Muslime in der Schweiz, hg. von der Eidgenössischen Ausländerkommission EKA, Bern 2005).
Literatur Eidgenössische Ausländerkommission EKA (Hg.), 2005: Muslime in der Schweiz. Bern. Imhof, Kurt/Ettinger, Patrick, 2009: Zentrale Merkmale der öffentlichen Debatte über die Minarettinitiative. Inhaltsanalyse des fög - Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft, Universität Zürich, 07.12. 2009. Rommelspacher, Birgit, 2006: «Multikulturelle Dialoge». In: Strahm, Doris/Kalsky, Manuela (Hg.): Damit es anders wird zwischen uns. Interreligiöser Dialog aus der Sicht von Frauen. Ostfildern, 118-132. VOX-Analyse, 2009: Analyse der Volksabstimmung «Gegen den Bau von Minaretten» vom 29. November. Internet: www.polittrends.ch/vox-analysen (10.02.2010).
© Doris Strahm 2010 |
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