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Vom Sündenfall – Ist Eva an allem schuld?

 

Die Kirchenväter jedenfalls waren überzeugt: Die Frau ist schuld, dass die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden und als Sünder der Erlösung bedürfen. Hätte Eva, die erste Frau, nicht gesündigt und Adam, den Mann, zur Sünde verführt, dann brauchten wir keine Erlösung von der Sünde und keinen Erlöser. Und dann hätte auch der Sohn Gottes nicht sterben müssen, um unsere Schuld zu sühnen, wie der Kirchenvater Tertullian erklärte. Die Verführung zur Sünde wurde dabei schon bald als sexuelle Verführung interpretiert. Die christliche Auslegung von Genesis 3, der Sündenfallgeschichte, strich die besondere Empfänglichkeit der Frau für das Böse sowie die Verbindung von weiblicher Sexualität und Sünde heraus: Sie ist die Verführbare und die Verführerin.

Diese Sicht wurde über Jahrhunderte von der christlichen Theologie vertreten und wirkt im kollektiven kulturellen Gedächtnis des Westens bis in die Gegenwart nach. So begegnet uns das Motiv der Eva, der Frau als Verführerin, auch heute noch allenthalben in der Kunst und Literatur und feiert in der Werbung fröhliche Urstände. Und auch in der Psyche von Frauen hat der Eva-Mythos Spuren hinterlassen: Dass bei vielen Frauen gerade der eigene Körper zum Schauplatz von Schuld und Heilsverlangen wird, dass sehr viele Frauen in unserer Gesellschaft unter einem diffusen Grundgefühl von Schuld und Unvollkommenheit leiden, ist wohl nicht zuletzt auf diese jahrhundertelang wirksame christliche Sündentheologie zurückzuführen. Sie hat einen engen Zusammenhang zwischen Frausein, Frauenkörper und Schuld hergestellt. Sich selbst im eigenen Körper als gut anzunehmen, fällt vielen Frauen noch immer schwer.

 

In der Erbschuld gefangen

Auf der einen Seite verkündet die christliche Theologie, dass Jesus Christus uns ein für allemal von der Sünde erlöst hat. Auf der anderen Seite vertritt sie ein pessimistisches Menschenbild, das die Menschen an ihrem sündigen Ende festhält, ihnen kaum Gutes zutraut und wenig spüren lässt von erlöstem Menschsein. Zu dieser Fixierung auf Sünde und Schuld hat die Lehre von der Erbsünde, die von Augustinus entwickelt wurde und die katholische Theologie bis ins 20. Jahrhundert geprägt hat, massgeblich beigetragen. Als Hauptbeleg für die Erbsünde galt Röm 5,12. Dieser Vers wurde so verstanden, dass durch Adam, den ersten Menschen, alle Menschen gesündigt haben. Die Menschen kommen mit dieser Erbschuld auf die Welt. Sie wird nach Augustinus durch die Begierlichkeit beim Zeugungsakt übertragen. Folgen der Erbsünde sind ewige Verdammnis, leiblicher Tod und Begierde. Mit dieser Erbsündenlehre wurde lange Zeit auch die Kindertaufe begründet: Ungetauft sterbende Kinder fallen der Verdammnis anheim!

Verheerend hat sich die Erbsündenlehre Augustins auch im Hinblick auf die Bewertung der menschlichen Sexualität ausgewirkt: Der sexuelle Akt gilt selbst in der Ehe als schändlich wegen der Lustempfindung und der Eigenmächtigkeit der sexuellen Begierde. Erlaubt werden kann er nur dadurch, dass die Eheleute nicht die Lust, sondern den Zweck der Ehe anstreben: die Fortpflanzung. Diese Sicht, die in abgeschwächter Form die offizielle römisch-katholische Lehre von Ehe und Sexualität bis heute bestimmt, ist folgenschwer gewesen: Sie hat Sexualität und Sünde praktisch gleichgesetzt, Liebe und sexuelle Lust getrennt. Die Trennung von ehelicher Sexualität und Lust hat die Lebensgeschichten unzähliger Menschen und ganz besonders von Frauen bis in die Gegenwart hinein mit quälenden Spannungen und Schuldgefühlen belastet.

 

Aufrichten statt niederdrücken

Als feministischer Theologin hat sich mir eine andere Sicht auf die christliche Theologie eröffnet: Nicht Sünde und Schuld sind die Mitte der christlichen Botschaft. Im Zentrum der Verkündigung Jesu steht das Reich Gottes, die Verheissung eines «Lebens in Fülle» für alle Menschen, das er in seinem Handeln erfahrbar gemacht hat. Jesus hat Menschen aufgerichtet und geheilt, sie nicht niedergedrückt und gekrümmt. Er hat ihnen in Erinnerung gerufen, dass sie Ebenbild Gottes und von Gott geliebte Töchter und Söhne sind – ohne Vorleistung, so, wie sie sind.

Diese Botschaft sollten die Kirchen ins Zentrum der christlichen Theologie rücken. Dann würde für Menschen vielleicht wieder erfahrbar, was das Christentum beansprucht zu sein: eine frohe, befreiende Botschaft für die Menschen. Dies heisst nicht, die Menschen grundsätzlich als schuldlos anzusehen. Aber es heisst, Frauen und Männern die Fähigkeit zu Liebe und Gerechtigkeit zuzutrauen, sie als mündige Subjekte ernst zu nehmen, die eine Wahl treffen können und Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Handeln aber schliesst auch Schuldigwerden ein. Diese Schuldfähigkeit jedoch ist kein ererbter Zustand der Sündhaftigkeit, sondern Zeichen unserer menschlichen Freiheit und Mündigkeit.

 

Doris Strahm

 

 

© Doris Strahm 2008