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Der religiösen Vielfalt Raum schaffen

Frauen im interreligiösen Dialog

 

Verbundenheit II

Leg meinen Traum
zu deinem
sie liegen gern
unter einer Decke

Herz in Herz
ein Augenblick ein Jahrhundert

Die Botschaft
erreicht uns
wir müssen uns anvertrauen
dem stärkeren Willen

In unseren Pupillen
steht jener Stern
der uns verbindet

ein Wort aus Glanz
eine geschliffene Träne

Rose Ausländer [1]

Verbundenheit umschreibt die Haltung, in der ich seit einigen Jahren mit jüdischen und muslimischen Frauen einen interreligiösen Dialog führe. Diese Haltung wurzelt in meiner Überzeugung, dass wir alle in einer letzten transzendenten Wirklichkeit verbunden sind und dass sich das Göttliche in vielerlei Gestalt Raum schafft in unserer Welt. Sie drückt sich aus in einer achtsamen Suche nach den Träumen, die wir zueinander legen können, Herz in Herz – im Wissen um das Leid und die Tränen, die uns trennen. Sie nährt sich vom Wunsch, in unseren Augen jenen Stern zu entdecken, der uns Menschen verbindet, über alle Unterschiede von Religion, Kultur und Geschlecht hinweg. Dieses Anliegen teilt auch die Jubilarin, die sich in ihrer Arbeit bemüht, Grenzen zu überschreiten, um einer wirklichen Begegnung mit den »Anderen« willen.

 

Die fehlende Dimension im Dialog

Feminismus sei die fehlende Dimension im Dialog der Religionen, konstatierte die Religionswissenschaftlerin Ursula King Ende der 1990er-Jahre. Sie äußerte die Hoffnung, dass eine vermehrte Beteiligung von Frauen am Dialog helfen könnte, die unterdrückerischen patriarchalen Strukturen der Religionen zu transformieren. Im selben Beitrag stellt sie kritisch fest, dass christliche feministische Theologie sich bislang noch wenig mit der Herausforderung des religiösen Pluralismus beschäftigt habe – und dies, obwohl gerade feministische Theologie sehr vielfältig sei, sich durch eine große Bandbreite kontextuell unterschiedlicher Ansätze auszeichne.[2] Das Fehlen einer feministischen Theologie der Religionen beklagt auch die Buddhistin Rita M. Gross, die sich seit vielen Jahren am interreligiösen Dialog beteiligt.[3] Die einzige in der feministisch-theologischen Literatur ausführlich geführte interreligiöse Diskussion sei jene mit jüdischen Theologinnen zum christlichen Antijudaismus gewesen. Die mangelnde Auseinandersetzung feministischer Theologinnen mit religiöser Vielfalt ist für Gross umso erstaunlicher, als ja diversity, Vielfalt und Verschiedenheit, seit Ende der 1980er-Jahre zu einem Schlüsselbegriff feministischer Theologien geworden ist. Herausgefordert durch die Kritik von women of color und ihrer Dekonstruktion des feministischen »Wir-Frauen« als universalistisches, westlich-eurozentrisches Konzept versucht feministische Theologie seither, die Verschiedenheit von (Frauen-)Erfahrungen bzw. die unterschiedlichen sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Kontexte ernst zu nehmen. Die von vielen Theologinnen postulierte Pluralität ist de facto aber eine interkulturelle innerhalb des Christentums geblieben. Die religiöse Vielfalt wurde bis heute noch kaum thematisiert.

Dabei böte die feministische Theologie nach Gross gute Gründe für eine pluralistische Theologie der Religionen.[4] Feministische Theologie ist entstanden aus der Erfahrung von Christinnen, von einer patriarchalen Religion ausgegrenzt zu werden. Daraus resultiert ihr Postulat, dass die Stimme aller gehört und anerkannt werden muss, gerade auch jener, die bislang nicht im Zentrum standen, und dass Unterschiede zu ihrem Recht kommen sollen. Des Weiteren hat feministische Theologie sich für ein Überschreiten von patriarchalen dogmatischen Grenzsetzungen und für die Suche nach neuen spirituellen Quellen stark gemacht. Weshalb soll diese Offenheit an den Grenzen anderer Religionen halt machen? Und nicht zuletzt, möchte ich hinzufügen, haben viele feministische Theologinnen eine exklusivistische Auffassung des Christentums mit ihrem universalen Wahrheits- und Heilsanspruch in ihren Re-Visionen der christlichen Theologie schon früh zurückgewiesen und die soteriologische Vision eines »Lebens in Fülle« für alle Menschen ins Zentrum gestellt.[5]

Gross ist der Ansicht, dass die Entwicklung einer feministischen Theologie der Religionen wichtig und nötig ist: aus ethischen Gründen, um ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften zu fördern; aus feministischen Gründen, weil Frauen aufgrund ihrer (Unterdrückungs-)Erfahrungen in den patriarchal geprägten Religionen eine spezifische Sicht einbringen und ihre Stimme im interreligiösen Dialog Gewicht bekommen muss; und aus theologischen Gründen, weil der Dialog mit anderen Religionen die Chance bietet, die eigene Religion mit den Augen der Anderen sehen und neu verstehen zu lernen. Im »vergleichenden Spiegel«, wie sie es nennt, wird nicht nur die/der »Andere«, sondern auch das »Selbst« reflektiert:

»In the comparative mirror, we see ourselves in the context and perspective of many other religious phenomena, inviting, even necessitating self-reflection about our own religious and cultural systems. (...) For theological reflections, feminist or otherwise, nothing is so useful as becoming a phenomenon to oneself because in that process, we see and understand ourselves much more clearly. Part of that seeing includes seeing the strengths and weaknesses of the perspectives we take for granted.«[6]

So verstanden führt der Dialog der Religionen zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen Tradition und zur veränderten Wahrnehmung der eigenen Person, nicht zur »Bekehrung« oder Veränderung der Anderen. Er bietet die Möglichkeit, wie die feministische Theologin Manuela Kalsky schreibt, »die Vielfalt der religiösen Erfahrungen des Göttlichen auch für die eigene christliche Identität fruchtbar zu machen«[7]. Im Aufbau interreligiöser Beziehungen und Gemeinschaften sieht sie eine Basis für die Verwandlung christlicher Identität von einer statischen hin zu einer fließenden und beziehungshaften Identität, die religiöse Verschiedenheit als Bereicherung und nicht als Bedrohung versteht. »Momente göttlicher Wahrheit werden dann nicht in von vornherein festgestellten Wahrheitsansprüchen der jeweiligen Religionen gesucht, sondern in der Interaktion, in der Begegnung mit Menschen mit anderen religiösen Erfahrungen göttlicher Gegenwart.«[8]

 

Dialog und interreligiöse Begegnung

Im interreligiösen Dialog begegnen sich Menschen, nicht religiöse Systeme. Diese Menschen leben in bestimmten soziopolitischen Kontexten, sind von verschiedenen Faktoren wie Kultur, Religion, ökonomische Verhältnisse, Schicht- und Geschlechtszugehörigkeit geprägt. Wie kann Begegnung und Verstehen gelingen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften? Und: Wie gestalten Frauen den interreligiösen Dialog? Welches sind ihre Erfahrungen und Sichtweisen in Bezug auf interreligiöse Begegnung und gegenseitiges Verstehen? Welche Rolle spielt die Gender-Frage in ihrem Dialog? Diesen Fragen möchte ich kurz nachgehen – anhand konkreter Dialogprojekte von Frauen, die in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum entstanden sind. Das Interesse von Frauen, so scheint es, richtet sich im Moment eher auf die Praxis interreligiöser Begegnung und interreligiösen Lernens als auf die Erarbeitung von theoretischen Studien zu einer feministischen Theologie der Religionen. Diese Praxis wird allerdings theoretisch reflektiert: Die konkreten Dialogerfahrungen werden kritisch befragt im Hinblick auf das Gelingen oder Misslingen interreligiöser Begegnungen.

»Sarah-Hagar« nannte sich ein interreligiöses und interkulturelles Projekt der »Überparteilichen Fraueninitiative Berlin – Stadt der Frauen«, das im Herbst 2002 begann und sich in insgesamt neun größeren Eigen- und Kooperations-Veranstaltungen bis zum Sommer 2004 zu einem intensiven interreligiösen Netzwerk von politisch und religiös aktiven Frauen entwickelte.[9] Die Besonderheit des »Sarah-Hagar-Projekts« liegt darin, dass es die Bereiche »Religion, Politik und Gender« miteinander verknüpfen und Frauen aus den drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam zusammenbringen wollte mit Frauen – auch atheistischen – aus der Politik. Anliegen der Initiantinnen war es, durch die Vernetzung von religiös und politisch engagierten Frauen die gesellschaftliche Wirksamkeit eines solchen Dialogprojekts zu verstärken. Als eine Art Kernzelle eines neuen, respektvollen Umgangs miteinander wollten sie zur Stärkung einer Zivilgesellschaft beizutragen, in der alle Religionen und Kulturen anerkannt werden und in der ein friedliches und produktives Zusammenleben in einer kulturell und religiös heterogenen Gesellschaft möglich ist.[10]

Ebenfalls von 2002 bis 2004 wurde ein Pilotstudiengang eines europäischen Projekts für interreligiöses Lernen (European Project for Interreligious Lerning – EPIL[11]) durchgeführt. Das Projekt fokussierte auf den Dialog von Christentum und Islam, da der Islam in Europa durch die Migrationsprozesse der letzten Jahrzehnte die zweitgrößte Religionsgemeinschaft geworden ist und das Verhältnis zu ihm in europäischen Gesellschaften seit dem 11. September 2001 verstärkt von Misstrauen und auch Ängsten geprägt wird. Das von Reinhild Traitler und Teny Pirri-Simonian initiierte und vom OeRK und Boldern unterstützte Dialogprojekt verstand sich als Prozess einer Lerngemeinschaft, die für eine bestimmte Zeit an verschiedenen Orten Europas zusammenfand (Zürich, Barcelona, Bosnien-Herzegowina, Berlin, Beirut), um in fünf Modulen – im Kontakt mit den konkreten Lebenssituationen vor Ort – vom Glauben der Anderen zu lernen. Dreiundzwanzig Frauen, neun Musliminnen und vierzehn Christinnen, ließen sich auf ein Miteinander-Lernen ein, das sie nicht nur mit anderen Glaubensüberzeugungen in Kontakt brachte, sondern sie ebenso mit den leidvollen Erfahrungen konfrontierte, die Menschen aufgrund ihrer Religion in Europa erlitten haben. Getragen war das Projekt von der Vision, dass Frieden zwischen den Religionen möglich ist und dass sowohl Islam wie Christentum auch Frieden fördernde Traditionen enthalten.[12]

Explizit um das Gewalt- und das Friedenspotenzial von Religionen ging es in einem interreligiösen Dialogprojekt von Frauen in der Schweiz, an dem ich selber als Mitorganisatorin und Referentin beteiligt war. »Im Zeichen des Einen – Frauenblicke auf Gewalt fördernde und Frieden stiftende Traditionen in Judentum, Christentum und Islam«, so hieß der Erste Interreligiöse Theologiekurs für Frauen, der von katholischen und evangelischen Bildungsinstitutionen organisiert und von November 2002 bis Mai 2003 durchgeführt wurde. Von einem neunköpfigen interreligiösen Leitungsteam konzipiert und geleitet, richtete sich der Aus- und Weiterbildungskurs an jüdische, christliche und muslimische Frauen, die sich aus beruflichen oder persönlichen Gründen mit interreligiösen Fragen auseinander setzen wollten. Auslöser für die Fragestellung des Kurses war die zunehmend wieder religiös legitimierte Gewalt und die Frage, inwiefern Ausschluss und Unterdrückung der »Anderen« in den monotheistischen Religionen selbst angelegt sind. Als jüdische, christliche und muslimische Frauen wollten wir aber auch den Dialog über die Traditionen der Gleichwertigkeit, des Friedens und der Gottesfreundschaft mit den Menschen in unseren drei Religionen führen, ihnen zur Sichtbarkeit verhelfen und damit zu einer Kultur des Friedens beitragen. In einem Folgekurs im Jahr 2005 wurde unter dem Titel »Frieden – Du leiseste aller Geburten« die Thematik nochmals vertieft.

Allen drei genannten Projekten, so unterschiedlich sie im einzelnen auch waren, ist gemeinsam, dass der Dialog nicht allein dem Austausch von Wissen über die anderen Religionen, dem Vergleich von Lehrtraditionen oder der interreligiösen Diskussion bestimmter Themen diente, sondern die Praxis des Dialogs, das Einüben eines respektvollen Umgangs miteinander ein zentrales Anliegen war. Alle drei erstreckten sich über einen längeren Zeitraum und begünstigten durch den Aufbau von persönlichen Beziehungen und Vertrauen einen solchen Lernprozess. Interessanterweise wurden dem Sarah-Hagar-Projekt, dem EPIL und dem Interreligiösen Theologiekurs die gleichen Regeln bzw. Kernkompetenzen des Dialogs[13] zugrunde gelegt, um die Haltung des Dialogs in der konkreten Begegnung und Auseinandersetzung einzuüben. Diese lauten verkürzt:

1.  Die Haltung einer/eines Lernenden verkörpern

2.  Respekt vor der anderen Person. Haltung der Empathie; Versuch, die Welt aus der Perspektive der Anderen zu sehen.

3.  Offenheit für neue Ideen, neue Einsichten, neue Perspektiven und die Bereitschaft, lang gehegte Annahmen in Frage stellen zu lassen.

4.  Von Herzen sprechen: Von dem reden, was uns wirklich wichtig ist. Ich sagen.

5.  Empathisches Zuhören, d.h. so zuhören, dass die/der Andere sich öffnen kann.

6.  Verlangsamung: Zeit geben. Jede/r TeilnehmerIn bekommt die Zeit zum Sprechen, die er/sie braucht.

7.  Annahmen offen legen und Bewertungen suspendieren. Uns der Weltbilder und persönlichen Bewertungen bewusst werden, die hinter unseren scheinbar objektiven Interpretationen der Wirklichkeit liegen.

8.  Produktives Plädieren. Eigene Sichtweise argumentativ darstellen, die Sichtweise des Anderen anhören und gegebenenfalls zu einer neuen Sicht der Dinge kommen.

9.  Eine erkundende Haltung üben: Dem/der Anderen in einer Haltung von Neugier, Interesse und Achtsamkeit begegnen.

10.  Den Beobachter beobachten: Der Störung folgen, den Überzeugungen und Haltungen auf den Grund gehen, die unterschwellig unsere Interaktionen und Handlungen bestimmen.

Diese Dialog-Regeln waren in allen drei Projekten ein wichtiges Gerüst, das helfen sollte, eingeübte Kommunikationsmuster aufzubrechen und Dialog fördernde Verhaltensweisen zu entwickeln. Nicht immer war es einfach, sie einzuhalten. In unserem Theologiekurs waren es besonders Regel zwei und sieben, die von den Christinnen als Angehörige der Mehrheitskultur und -religion häufig missachtet wurden. Dies zeigte sich vor allem bei der Gender-Thematik. So gab es heftige Einwände, wenn die muslimischen Frauen das islamische Geschlechterrollen-Konzept positiv darstellten und den Koran als nicht frauenfeindlich verteidigten. Hier war es offenbar kaum möglich, die Religion der Anderen mit ihren eigenen Augen sehen und verstehen zu lernen, die eigenen Annahmen im Dialog zu suspendieren, d.h. die eigenen kulturell geprägten Konzepte von Geschlechterrollen und Emanzipation zu relativieren und den Musliminnen das Recht auf Selbstinterpretation ihrer Tradition zuzugestehen. Ähnliches stellt auch die Soziologin Aliye Yegane fest, die den EPIL-Prozess von außen beobachtet hat. Die unterschiedlichen Konzepte von Geschlechterrollen seien ein trennender Diskussionspunkt zwischen den christlichen und muslimischen Teilnehmerinnen gewesen.[14] Im Sarah-Hagar-Projekt wurde die Kopftuchfrage bewusst ausgeklammert, welche die Frauenbewegung zurzeit spaltet, um die Kräfte nicht in einem unproduktiven Streit zu verschleißen. Es wird für das Gelingen eines Dialogs und gemeinsamen Engagements zwischen Frauen verschiedener Religionszugehörigkeit m. E. entscheidend sein, ob christliche Frauen ihre Konzepte eines westlichen Feminismus relativieren bzw. verschiedene Formen von Feminismus akzeptieren lernen können.[15] Anders als Angehörige von (religiösen) Minderheiten, die die Erfahrung machen, dass viele ihrer Werte und Normen nicht von allen geteilt werden, gehen die Angehörigen der Mehrheitskultur häufig – irrtümlich – davon aus, dass die eigenen kulturspezifischen Werte universal anerkannt sein müssten. Die kulturspezifische Gebundenheit der eigenen Werte zu akzeptieren und diese – zumindest für die Phase des Dialogs – entsprechend zu relativieren, ist jedoch Voraussetzung für die Öffnung der Mehrheitsgesellschaft für eine wirkliche Begegnung mit den »Anderen«.[16]

Damit ist ein weiterer wichtiger Aspekt angesprochen, der im interreligiösen Dialog zu beachten ist: Die Dialogsituation ist von einer strukturellen Ungleichheit und einem Machtgefälle zwischen christlichen Frauen als Teil der Mehrheitsgesellschaft und nichtchristlichen Frauen als einer (auch religiös) benachteiligten Minderheit geprägt. Es wäre zu fragen, wie diese Asymmetrie nicht nur die christlichen Dialogpartnerinnen in ihrer Auseinandersetzung mit der anderen Religion, sondern in den genannten Projekten ebenso die jüdischen und muslimischen Partnerinnen in der Darstellung ihrer religiösen Traditionen beeinflusst hat. Ob zum Beispiel die in unserem Kurs von Christinnen bemängelte wenig (selbst-)kritische Sicht der Musliminnen auf die eigene Religion nicht auch mit ihrer Situation als einer mit Vorurteilen und Misstrauen behafteten Minderheit zu tun hat.

 

Zur ethischen und spirituellen Dimension des interreligiösen Dialogs

Die beschriebenen Dialogprojekte weisen eine ausgeprägte ethische Dimension auf. Alle drei verstanden sich als Beitrag zur Gestaltung eines gesellschaftlichen Zusammenlebens, in dem alle Religionen gleichberechtigt sind, Männer und Frauen respektvoll miteinander umgehen und ihrem Glauben und ihrer Kultur gemäß leben können. Der erste Schritt auf dieses Ziel hin ist die Kenntnis voneinander, der Abbau von Vorurteilen und das Verstehenlernen unserer unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründe. Als Basis für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in multireligiösen Gesellschaften sollte der interreligiöse Dialog eine ethisch-politische Haltung des Respekts und der Anerkennung Andersgläubiger fördern helfen, die über Toleranz als (Er-)Dulden der Anderen hinausgeht. Wenn es gelingt, im Dialog eine solche Haltung einzuüben, und zwar nicht nur theoretisch, sondern konkret; wenn wir dadurch lernen, mit Unterschieden produktiv umzugehen und sie nicht als Bedrohung des eigenen Glaubens, der eigenen religiösen und kulturellen Identität anzusehen, dann hat der interreligiöse Dialog eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion.

Im interreligiösen Dialog sollte es m. E. weniger um innertheologische Debatten über die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in den Lehren unserer Religionen gehen, sondern stärker um die Frage, welche ethischen Werte sie verbreiten und zu welchem Handeln sie führen: Tragen unsere Glaubenssysteme mit ihren Werten dazu bei, dass die Welt friedlicher wird, dass Menschen unterschiedlicher religiöser und kultureller Herkunft zusammenleben können, dass egalitäre und gerechte Beziehungen zwischen den Geschlechtern gefördert werden, dass Vielfalt respektiert wird und Menschen ihre Beziehung zu Gott leben können – frei von Dogma und Zwang? Die »Früchte« von religiösen Traditionen wären das ethische Kriterium, an dem sie sich messen lassen müssten. Ein solch verstandener interreligiöser Dialog müsste vermehrt auch zu einem gemeinsamen Handeln führen.[17] Drängende Probleme, die es gemeinsam zu lösen gilt, gibt es weltweit genug: Gewalt, Armut, Kriege, Umweltzerstörung.

Und die Frauen? Für sie wäre ein gemeinsames Handeln und gegenseitige Unterstützung im Kampf gegen patriarchale Strukturen und Traditionen besonders wichtig – gerade auch angesichts des zunehmenden Fundamentalismus in allen Religionen, der bekanntermaßen mit Geschlechterkonservatismus und Beschneidung der Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen einhergeht. Frauen hätten viele gemeinsame Ziele bzw. »Träume«: ein Ende der Ungleichheit und der Gewalt gegen Frauen, Zugang zu Ressourcen und Macht, ein gleichberechtigter Platz sowie Interpretations- und Definitionsmacht in ihren Religionsgemeinschaften. Noch ist der Weg dahin lang.

Was Frauen auf diesem Weg unterstützt, so die Religionswissenschaftlerin Sybille Fritsch-Oppermann, ist eine ganzheitliche, Religion und Alltag verbindende Spiritualität und das kreative Potenzial der Randständigen. Eine solche interreligiöse feministische Spiritualität gibt Zeugnis von der (Lebens-)Kraft und dem widerständigen Mut von Frauen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, nimmt Konturen an im gemeinsamen Feiern der göttlichen Wirklichkeit und besitzt gar ein mystisches Element: »Mitten in der Welt ereignet sich Gott im grenz-überschreitenden Handeln und Leben von Frauen, kommt wieder und wieder und unter Schmerzen auch und Jubel, das Heilige zur Welt.«[18]

 

Doris Strahm

 

Fussnoten:

aus: Im Atemhaus wohnen. Gedichte, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1992, 134.

2  Vgl. Ursula King, Feminism: The Missing Dimension in the Dialogue of Religions, in: John May (ed.), Pluralism and the Religions: The Theological  and Political Dimensions, London: Cassell, 1998, 40–55.

3  Zum Folgenden vgl. Rita M. Gross, Feminist theology as theology of religions, in: Susan Frank Parsons (ed.), The Cambridge Companion to Feminist Theology, Cambridge: Cambridge University Press, 2002, 60–78.

Zum Begriff  und Verständnis einer pluralistischen Theologie der Religionen vgl. die umfassende Studie von Perry Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2005.

5  Zu dieser Frage: Doris Strahm, Vom Rand in die Mitte. Christologie aus der Sicht von Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika, Luzern: Edition Exodus, 1997; Manuela Kalsky, Christaphanien. Die Re-Vision der Christologie aus der Sicht von Frauen in unterschiedlichen Kulturen, Gütersloh: Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 2000.

6  Gross, Feminist theology as theology of religions, 67f (vgl. Fussnote 2). Auch für Schmidt-Leukel sollte der interreligiöse Dialog dazu führen, nicht nur den Anderen, sondern auch sich selber besser verstehen zu lernen und realistischer wahrzunehmen (vgl. Gott ohne Grenzen, 53, Fussnote 5).

Manuela Kalsky, Vielfalt umarmen. Überlegungen zur Transformation christlicher Identität, in: Doris Strahm, Manuela Kalsky (Hg.), Damit es anders wird zwischen uns. Interreligiöser Dialog aus der Sicht von Frauen, Mainz: Grünewald, 2006, 57–69, hier: 67.

Kalsky, ebd. 68.

www.sarah-hagar.de

10  Vgl. zum Sarah-Hagar-Projekt und seiner Lernergebnisse: Carola von Braun, Christiane Klingspor, Irene Pabst, Respekt und gegenseitige Anerkennung. Das interreligiöse Projekt »Sarah-Hagar«, in: Doris Strahm, Manuela Kalsky (Hg.), Damit es anders wird zwischen uns, 27–42 (vgl. Fussnote 7).

11  www.epil.ch.

12  Zur Dokumentation und Reflexion des EPIL-Projekts: Reinhild Traitler (ed.), In the Mirror of Your Eyes. Report of the European Project for Interreligious Learning, Zürich und Beirut, 2004.

13  Martina & Johannes F. Hartkemeyer, L. Freeman Dhority, Miteinander Denken. Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart: Klett Cotta, 2001.

14  Aliye Yegane, The EPIL Process as seen from the Outside, in: Traitler (ed.), In the Mirror of Your Eyes, 153–156, hier: 154 (vgl. Fussnote 10).

15  Zur Bedeutung der Geschlechterfrage im »Streit der Kulturen«, speziell auch in seiner feministischen Variante vgl. Birgit Rommelspacher, Multikulturelle Dialoge. Selbst- und Fremdbilder im Widerstreit unterschiedlicher Interessen, in: Strahm, Kalsky (Hg.), Damit es anders wird zwischen uns, 118–132 (vgl. Fussnote 7).

16  Vgl. von Braun, Klingspor, Pabst, Respekt und gegenseitige Anerkennung, 36 (vgl. Fussnote 7).

17  Vgl. dazu Amira Hafner-Al Jabaji, Eva Pruschy, Doris Strahm, Das gute Leben für alle – ethischer Horizont für den interreligiösen Dialog? Ein Gespräch, in: Strahm, Kalsky (Hg.), Damit es anders wird zwischen uns, 134–155 (vgl. Fussnote 7).

18  Sybille Fritsch-Oppermann, Kühler Kopf & weiches Herz - Frauen in den Religionen der Welt. Über das kreative Potential des Randständigen, Schenefeld: EBVerlag, 2005, 146.

 

 

© Doris Strahm 2007