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"Manchmal stehen wir auf,
stehen wir zur Auferstehung auf ..."
[1]

Gedanken zur Auferstehung aus feministisch-theologischer Sicht

 

Auferstehung [2]

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

(Marie Luise Kaschnitz)

 

Es sind nicht theologische Texte gewesen, sondern Gedichte wie das von Marie Luise Kaschnitz, die mir vor einigen Jahren ein neues Verständnis von Auferstehung als "Auferstehung mitten im Leben" erschlossen haben. Anders als die für den christlichen Glauben zentrale dogmatische Rede von der Auferstehung Jesu, die keine wirkliche Bedeutung für mein eigenes Leben gewonnen hat, drücken die Gedichtzeilen von Marie Luise Kaschnitz eine existentielle Erfahrung aus, die ich kenne: die Erfahrung, aus Dunkelheit, Verzweiflung, Trauer, Angst oder Hoffnungslosigkeit unerwartet wieder "aufzustehen", mitten im Alltag und dem Gewohnten um mich herum für Momente aufgehoben zu sein in einer grösseren Ordnung und einem Haus aus Licht. Nur: Was hat diese Erfahrung von Auferstehung, die einbricht in unseren Alltag, die mitten in unserem Leben geschieht, mit dem christlichen Reden von Auferstehung, mit dem Glauben an die Auferstehung Jesu zu tun? Gibt es eine Brücke zwischen diesem Verständnis von "Auferstehung zum Leben im Leben" und dem Verständnis der Auferstehung Jesu vom Tod?

 

Auferstehung mitten im Leben – auch im Neuen Testament

Die biblischen Berichte über die Auferstehung Jesu benutzen das griechische Wort egeirein, was soviel wie aufwecken, aufrichten, erregen bedeutet. Auferstehung bzw. Auferweckung ist im neutestamentlichen Sprachgebrauch also gleichbedeutend mit Aufstehen und Aufwecken, wird mit Worten aus der Alltagserfahrung benannt. Feministische Exegetinnen haben festgestellt, dass das Wort egeirein auch in vor-markinischen Heilungsgeschichten verwendet wird, auffälligerweise aber nur in Erzählungen über Frauen: so bei der Heilung der Schwiegermutter des Petrus – Jesus nahm sie bei der Hand und richtete sie auf (Mk 1,31) – und bei der Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus (Mk 5,41): diese wird von Jesus aufgeweckt, aufgerichtet zum Leben. Die deutsche Exegetin Monika Fander, die die Stellung der Frauen im Markusevangelium untersucht hat, folgert daraus, dass auf der Ebene der Markus-Tradition eine enge Verbindung zwischen einzelnen Heilungsgeschichten von Frauen und der Passion und Auferweckung Jesu sichtbar wird: Sie werden mit den gleichen Begriffen bezeichnet.[3]

Diese Aufsteh-Geschichten von Frauen im Markusevangelium werden heute von vielen Frauen als Auferstehungsgeschichten gelesen – wie überhaupt die Heilungsgeschichten, die von der Überwindung der "Todes" erzählen, sei es des physischen, psychischen oder sozialen Todes, vom Auferweckt- und Aufgerichtetwerden durch Gottes lebenspendende Macht. Das ganze Markusevangelium kann so als eine grosse Erzählung vom Prozess der Auferstehung verstanden werden, die nicht erst nach dem Tod geschieht. Auferstehung vom Tod geschieht vielmehr schon mitten im Leben.[4]

Auch die Erzählungen vom "leeren Grab" weisen den Auferstehungsglauben auf das irdische Leben zurück und üben Kritik an einem auf das Grab oder den Himmel fixierten Osterglauben. Maria Magdalena, Salome und Maria, die Mutter des Jakobus, suchen Jesus am Ostermorgen im Grab, unter den Toten. Doch das Grab ist leer; Jesus ist nicht an dem Ort, an dem er begraben wurde. Und die Botschaft, die sie verkünden sollen, lautet: Er ist auferweckt worden, er geht euch voraus nach Galiläa (Mk 16,6f; Mt 28,5-7). Die Tradition des "leeren Grabes" lokalisiert den Auferstandenen auf der Erde, in Galiläa, und betont, dass Jesus nicht fort-, sondern vorausgegangen ist und unter den Lebenden gefunden werden kann.

Die Tradition vom "leeren Grab" nimmt Leiden und Tod ernst, gibt ihnen jedoch nicht das letzte Wort oder einen religiös-theologischen Wert an sich: das Grab ist leer.[5] Es verkündet die Gegenwart des Auferstandenen auf dem Weg nach Galiläa: Dort, wo alles begonnen hat, werden sie ihm begegnen; dort, im Galiläa der kleinen Leute, der Widerstandskämpfer, der BettlerInnen und Arbeitslosen, der Zöllner und Sünder, der Frauen und anderer marginalisierter Gruppen, werden sie ihn sehen. Indem seine Jüngerinnen und Jünger sich auf "Jesu Spur" nach Galiläa begeben, sich also auch nach seinem Tod in seine Nachfolge stellen und sein Werk fortsetzen, begegnen sie dem Auferstandenen, der unter den Lebenden zu finden ist.

Interessant ist, dass die Tradition des "leeren Grabes" in allen vier Evangelien den Frauen zugeschrieben wird, wie überhaupt die Passions- und Osterberichte allein an das Zeugnis von Frauen gebunden sind. Die Osterbotschaft wird zuerst von Maria von Magdala verkündet und von den Frauen, die zum Grab gingen. Die narrativen Darstellungen des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu weisen ihr und anderen Frauen eine führende Rolle innerhalb dieser Geschehnisse zu. Von diesen Frauen wird gesagt, dass sie die Zeuginnen von Jesu Hinrichtung und Begräbnis sowie die ersten Verkünderinnen seiner Auferstehung waren. Mit anderen Worten: Das christliche Bekenntnis "er ist gestorben, begraben und auferweckt worden" ist in den Passions- und Auferstehungsberichten der Evangelien einzig und allein an das Zeugnis von Frauen gebunden.

Im Gegensatz dazu wird in 1 Kor 15,5ff, wo von Erscheinungen des Auferstandenen berichtet wird, keine einzige Frau erwähnt , obwohl die Evangelien von Erscheinungen des Auferstandenen vor Maria von Magdala und anderen Frauen erzählen (Mt 28,9f; Joh 20,11-18). Wir haben es hier mit einer reinen Männerliste zu tun, in der Petrus und die Zwölf als Zeugen der Auferstehung autorisiert werden. Es scheint zwei verschiedene Traditionen gegeben zu haben: eine "Erscheinungs-Tradition", die mit einer reinen Männerliste verbunden ist und, wie einige feministische Theologinnen meinen, auf den Ausschluss der Frauen vom Apostelamt zielt, sowie eine "Tradition des leeren Grabes", die mit einer Reihe von Frauennamen verbunden ist.

Die feministische Theologin und Bibelwissenschaftlerin Elisabeth Schüssler Fiorenza sieht in dieser den Frauen zugeschriebenen Tradition des "leeren Grabes" eine Form der Auferstehungsbotschaft, die eher nach Handlung als nach einem Bekenntnis verlangt, die den Auferstandenen auf der Erde lokalisiert und nach vorne weist in die messianische Zukunft. "Der Auferstandene ist in den 'kleinen Leuten' gegenwärtig, in den Überlebenskämpfen der Verarmten, der Hungrigen, der Gefangenen, der Gefolterten und Getöteten, in den Elenden der Welt."[6]

Das leere Grab verkündet die Gegenwart des Lebendigen in der weltweiten Frauen-Ekklesia, in jenen Frauen und Männern, die sich im Namen Jesu versammelt haben und den Kampf gegen entmenschlichende Mächte nicht aufgeben, in den Gesichtern unserer Mütter und Grossmütter, die um Überleben und Würde gekämpft haben. "Jesus geht voran – nicht fort: so wird den Frauen in den Evangelien, und uns mit ihnen, gesagt."[7]

 

Auferstehung in feministisch-theologischer Sicht

"Auferstehung" ist in der feministischen Theologie kein breit ausgefaltetes Thema. Wenn feministische Theologinnen von der Auferstehung reden, dann geschieht dies häufig im Zusammenhang mit der Kreuzestheologie bzw. der Kritik einer einseitig auf Leiden und Opfer fixierten Erlösungslehre. Feministische Theologinnen aus der Ersten und aus der Dritten Welt betonen, dass Kreuz und Auferstehung nicht mehr auseinander gerissen werden dürfen, wie es in der christlichen Tradition des Westens geschehen ist. Anstelle einer Leidens- und Opfertheologie müsse gerade für Frauen, deren Opferstatus und deren Selbstaufopferung mit der Kreuzestheologie lange Zeit religiös legitimiert worden sei, die Botschaft von der Auferstehung, von einem Gott des Lebens, wieder stärker ins Zentrum der christlichen Erlösungsbotschaft und der christlichen Praxis gerückt werden.[8]

Trotz dieses Postulats haben feministische Theologinnen bislang keine theologischen Traktate zum Thema "Auferstehung" entwickelt. Es findet stattdessen in feministischen Theologien und Christologien eine Akzentverschiebung statt: vom isolierten Geschehen "Kreuz und Auferstehung" zu dem, was diesem Geschehen vorangegangen ist, nämlich das Leben, die Lebenspraxis Jesu. Diese Lebenspraxis wird nicht als blosse Anlaufzeit für das Eigentliche, den Tod und die Auferstehung Jesu gesehen. Im Gegenteil: Das Leben Jesu, seine gelebte Botschaft vom Reich Gottes wird als erlösend verstanden; sein Handeln hatte heilbringenden Charakter, war befreiend und liess Menschen vom Tod aufstehen ins Leben. Der Akzent feministischer Theologien liegt auf dem Leben vor dem Tod für alle Menschen.

Feministische Theologinnen kritisieren, dass in der kirchlichen Verkündigung die Auferstehung Jesu und die mit ihr verknüpfte Verheissung von der Auferstehung der Toten als ein objektives Faktum und als ein Ereignis nach dem Tod gelehrt wurde. Auferstehung wurde so zu etwas, das man glauben muss, zu einem Glaubensinhalt, der mit der Gegenwart und den eigenen Erfahrungen wenig zu tun hat. Der Glaube an eine Auferstehung nach dem Tod hatte immer wieder zur Folge, dass das irdische Leben, der Körper und das Sterben entwertet wurden und als heillos galten.[9]

Feministische Theologinnen betrachten die traditionelle kirchliche Auferstehungstheologie aber auch deshalb kritisch, weil sie angesichts des Leidens von Frauen, Männern und Kindern immer wieder auch als Beschwichtigungs- und Vertröstungsideologie funktioniert hat. Demgegenüber betonen feministische Theologinnen Auferstehung als nicht einfach zukünftige, sondern als gegenwärtige Erfahrung: als Auferstehung vor dem Tod.

"Auferstehung" ist für viele feministische Theologinnen Metapher der Hoffnung, dass die Erfahrung eines gerechten und lebenspendenden Gottes stärker ist als die Erfahrung des Scheiterns, des Unrechts und des Todes, die wir täglich vor Augen haben. Sie ist Ausdruck des Glaubens, dass die Geschichte Jesu und seiner Bewegung sich fortsetzt in unseren eigenen Auferstehungsgeschichten und unseren heutigen Auferstehungsprozessen gemeinschaftlich und individuell.

"Es ist die Veränderung, die sich in unserem Leben vollzieht, auf die es bei der Auferstehung Jesu ankommt", meint die deutsche Theologin Luise Schottroff, so wie die Auferstehung Jesu damals bei den Jüngerinnen und Jüngern Jesu Auferstehungsprozesse in Gang gesetzt habe. Denn sie, die voller Angst geflüchtet waren und deren Hoffnung tot war, wurden zum Leben erweckt und mit der Aufgabe betraut, die Arbeit am Reich Gottes weiterzuführen. So wie die Auferstehung Jesu damals im Leben der Jüngerinnen und Jünger Auferstehungsprozesse in Gang gesetzt habe, so sollen auch wir heute Auferstehungsmomente in unserem Leben wahrnehmen und Auferstehungsprozesse in Gang setzen.[10]

Für die US-amerikanische Theologin Carter Heyward ist die Auferstehung Jesu ebenfalls als ein Ereignis im Leben seiner Freundinnen und Freunde zu verstehen. Der christliche Glaube gründet sich für sie nicht auf die Tatsache der physischen Auferstehung Jesu, die weder zu beweisen noch zu widerlegen sei. Was immer die Erfahrung der Auferstehung Jesu bedeutet haben mochte, sie führte die Freundinnen und Freunde Jesu auf jeden Fall dazu, das fortzusetzen, was zwischen Jesus und ihnen begonnen hatte, diese Art von Gottesbeziehung und Beziehung untereinander nicht aufzugeben.[11]

Auch für die brasilianische Theologin und Ordensfrau Ivone Gebara ist "Auferstehung" kein einmaliges Ereignis nach Jesu Tod, sondern kollektive Erfahrung bzw. Praxis der Jesusbewegung gewesen. Auferstehung ist für sie überhaupt die Schlüsselkategorie für das Verständnis der Jesusbewegung und der ersten christlichen Gemeinden. Deren Zentrum waren in ihren Augen nämlich "Auferstehungshandlungen", die Todessituationen transzendierten und neues Leben ermöglichten. Diese Auferstehungspraxis gilt es als Christinnen und Christen weiterzuführen, indem wir uns innerhalb unserer Geschichte und der konkreten Situation, in der wir leben, ebenso leidenschaftlich für das Leben engagieren, das Leben feiern und es schützen und die Mächte des Todes entlarven.[12]

Eines der stärksten Zeichen diesen neuen, "auferstandenen" Lebens ist für die deutsche Theologin Dorothee Sölle die Praxis der Solidarität: "Wo Solidarität geschieht, da ist Auferstehung. Wenn wir die Neutralität des Schweigens brechen und die Komplizenschaft mit dem Unrecht verlassen, dann beginnt das neue Leben. Menschen, die zuvor unsichtbar und vergessen waren, werden selbstbewusst und finden ihre Sprache. Sie stehen für ihre Rechte auf, und dieses Aufstehen, dieser Aufstand ist ein Zeichen der Auferstehung."[13]

 

"Auferstehung" der Frauen

Seit vielen Jahren weisen feministische Theologinnen aus allen Teilen der Welt auf die Gewalt an Frauen hin und kritisieren, dass deren spezifische Leidenserfahrungen in der Theologie während Jahrhunderten unsichtbar geblieben sind. Die Darstellung einer nackten Frau am Kreuz, die in den letzten Jahren da und dort aufgetaucht ist, versucht dieses unsichtbar gebliebene Leiden von Frauen sichtbar zu machen, den gemarterten, vergewaltigten und ausgebeuteten Leib der Tochter Gottes, der nicht einfach sichtbar wird im geschundenen Körper des Gottessohnes, zu vergegenwärtigen – als Mahnmal gegen die Gewalt, die weltweit an Frauen geschieht, als Mahnmal ihres unermesslichen Leidens, das nach Beendigung schreit.

Ebenso wie die Leidenserfahrungen von Frauen gilt es aber auch die Auferstehungserfahrungen von Frauen – ihre Geschichten von Aufstand und Heilwerden – wahrzunehmen und sie theologisch als solche zu benennen. So ist für die feministische Theologin Ivone Gebara aus Brasilien der geschichtliche Aufbruch der Frauen, der heute weltweit und auch in ihrem eigenen Kontinent geschieht, theologisch als Auferstehungsprozess zu interpretieren, als Auferstehung des Körpers der Frau in Bereiche hinein, die ihm bislang verschlossen waren wie z.B. die Politik, die Arbeitswelt, die Theologie: "Unter theologischem Gesichtspunkt kann man die Ortsveränderung des Körpers der Frau hin zu Orten, an denen er handeln und sich ausdrücken kann, als Auferstehung sehen. Dort, wo bisher kein Platz für ihn war, wo er nicht vorkam, ja wo zu erscheinen ihm verboten war, beginnt er aufzuerstehen ... Dorthin, wo Geschichte nicht geschah, wo Erinnerung nicht erinnert und Gedächtnis nicht gedacht wurde, dorthin kehrt der Geist mit seinem starken Wehen heim und weckt Frauen zu Grösserem auf, als es die begrenzte Welt von Heim, Kindern und Unterwerfung unter den Mann ist. (...) Auferstehung des Leibes... Körper von Frauen stehen auf und fangen an, von Dingen zu reden, deren sie unfähig waren, das Wort zu ergreifen, das ihnen verboten war, Wege zu gehen, die ihnen versperrt waren, zu schreien, wo der Befehl Schweigen lautet, sich zu erheben, während sie sitzen bleiben sollen, sich zu organisieren, wo Unterwerfung das Gebot ist, und Neues zu erwarten, wo man sie gelehrt hat, das Alte zu wiederholen."[14]

Eine solche Auferstehungspraxis ist nach Ivone Gebara vor allem unter den armen Frauen zu beobachten, die die Mehrheit der Armen auf dem lateinamerikanischen Kontinent ausmachen und deren Befreiungskampf mit dem Kampf ums Überleben verbunden ist. Doch nicht nur in Lateinamerika, sondern in der ganzen Dritten Welt sind es vor allem die Frauen, die aufstehen für das Leben, die täglich für das Leben und Überleben ihrer Kinder kämpfen müssen und mit ihrem Körper für das Leben sorgen, es nähren und schützen. Überall auf der Welt sind es in der Mehrzahl Frauen, denen die Erhaltung und Bewahrung des Lebens aufgebürdet wird, die, wie die Frauen am Grab, Zeugnis ablegen von der Auferstehung, von neuem Leben inmitten von Verzweiflung und Erfahrungen des Todes. An ihren Körpern wird sichtbar, was es bedeutet, sich auf der Seite des Lebens oder auf der Seite des Todes zu finden, was es bedeutet, als Frau in einer Welt von Armut, Hunger, Krieg und Männergewalt zu leben.

Von der Auferstehung der Frauen reden, heisst für mich deshalb: von der Auferstehung ihrer gebrochenen Körper reden, die dürsten nach einem Leben in Würde und Gerechtigkeit. Es heisst aber auch: theologisch die Sakramentalität und Heiligkeit des weiblichen Körpers zu bestätigen, der sich seit Jahrhunderten abgewertet, ausgebeutet, vergewaltigt und nach Männerwünschen zurechtgebogen nach Heilung, nach Selbstbestimmung und Befreiung sehnt; es heisst, den weiblichen Körper nicht länger als Ort der Sünde zu dämonisieren, wie dies die christliche Tradition jahrhundertelang getan hat, sondern ihn ebenso wie den männlichen Körper als Bild des Göttlichen und Ort des Heils zu sehen, für seine Auferstehung zu einem Leben in Fülle zu kämpfen. Von der Auferstehung des Fleisches zu reden, bedeutet für mich, auch von der Schönheit des Frauenkörpers, seiner Lust und erotischen Leidenschaft zu reden, sie als Teil der Heiligkeit des menschlichen Lebens zu bejahen und zu lernen, "Gesänge auf die wunderbare Lust des Fleisches zu singen", wie die nicaraguanische Dichterin Gioconda Belli in einem ihrer Gedichte schreibt.

 

Auferstehung mitten am Tage

Zu betonen, dass Auferstehung schon jetzt, mitten am Tage, geschieht, schliesst für mich die eschatologische Hoffnung auf die "Auferweckung der Toten" am Ende der Zeit nicht aus – die Hoffnung darauf, dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphiert und dass all jenen, die eines erfüllten Lebens beraubt worden sind, Gerechtigkeit widerfährt.

Doch es sind für mich gerade die "kleinen" Auferstehungserfahrungen inmitten der Ungesichertheit und Ambivalenz unseres menschlichen Lebens, welche die "grosse" Hoffnung auf die Auferstehung aller Menschen Frauen, Männer und Kinder aus Unrecht und Tod zu einem "Leben in Fülle" nähren und wach halten. Es sind die konkreten, fragilen Erfahrungen von Auferstehung mitten im Alltag wenn etwas geschieht, das unser Unglück und unsere Schmerzen lindert, unsere Herzen mit Liebe und Glück erfüllt und uns nach dem Rhythmus tanzen lässt, den unsere eigenen Körper uns vorgeben die mich aufrichten und mir die Augen öffnen für die Kostbarkeit und die Schönheit des Lebens trotz Leiden und Gewalt. Es sind die Geschichten vom Aufstand für das Leben und die "gnadenhaften" Momente von erfülltem Leben, die für mich die Rede von Auferstehung wahr machen.

"Manchmal stehen wir auf, stehen wir zur Auferstehung auf, mitten am Tage, mit unserem lebendigen Haar, mit unserer atmenden Haut."

 

Doris Strahm

 

Fussnoten:

1  Eine Kurzfassung des Textes ist erschienen in: Aufbruch. Zeitung für Religion und Gesellschaft 2/2006, 2

Marie Luise Kaschnitz, Seid nicht so sicher. Geschichten, Gedichte, Gedanken, Gütersloh 1979, 73f.

3  Monika Fander, Die Stellung der Frau im Markusevangelium, Altenberge 1990, 179f.

4  Vgl. Daniel Kosch, Auferstehung mitten am Tage, in: Ders. / Sabine Bieberstein (Hg.), Auferstehung hat einen Namen. Biblische Anstösse zum Christsein heute, Luzern 1998, 52.

5  Elisabeth Schüssler Fiorenza, Jesus – Miriams Kind, Sophias Prophet. Kritische Anfragen feministischer Christologie, Gütersloh 1997, 193.

6  Elisabeth Schüssler Fiorenza, Jesus – Miriams Kind, Sophias Prophet, 194.

Schüssler Fiorenza, ebd.

8  Vgl. Doris Strahm, Vom Rand in die Mitte. Christologie aus der Sicht von Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika, Luzern 1997, 50ff.; 407f.

9  Vgl. Luise Schottroff, Es gibt etwas, das uns nicht schlafen lässt, in: Luzia Sutter Rehmann / Sabine Bieberstein / Ulrike Metternich (Hg.), Sich dem Leben in die Arme werfen. Auferstehungserfahrungen, Gütersloh 2002, 23.

10  Luise Schottroff; Bärbel von Wartenberg-Potter; Dorothee Sölle, Das Kreuz: Baum des Lebens, Stuttgart 1987, 53f.

11  Carter Heyward, Und sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung, Stuttgart 1986, 108.

12  Ivone Gebara, The Face of Transcendence as a Challenge to the Reading of the Bible in Latin America, in: E. Schüssler Fiorenza (Hg.), Searching the Scriptures, Bd. 1: A Feminist Introduction, New York 1993, 181-184.

13  Dorothee Sölle, Wählt das Leben, Stuttgart 1980, 124.

14  Ivone Gebara, "Steh auf und geh!" Vom Weg lateinamerikanischer Frauen, in: Christel Voss-Goldstein; Horst Goldstein (Hg.), Schwestern über Kontinente. Aufbruch der Frauen: Theologie der Befreiung in Lateinamerika und feministische Theologie hierzulande, Düsseldorf 1991, 62/64.

 

 

© Doris Strahm 2006