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Feministische Theologie und der Tod

 

Eine feministische Theologie des Todes ist noch nicht geschrieben. Der Frage nachzugehen, wie feministische Theologinnen den Tod thematisieren und ob sich darin ein anderer Umgang mit der Endlichkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Lebens zeigt als in den traditionellen, von Männern formulierten Theologien, gleicht deshalb einer Spurensuche. In meinem Beitrag geht es somit nicht um die feministisch-theologische Sicht von Tod und Endlichkeit, sondern lediglich um einige Spuren, die sich in Werken feministischer Theologinnen zum Thema "Tod" erkennen lassen.

 

Kritik an traditionellen Theologien des Todes

Seit den Anfängen feministischer Theologie wurde die lebensfeindliche Jenseitsorientierung der traditionellen christlichen Theologie von Frauen heftig kritisiert. In dieser werde der Tod nicht als "natürlicher" Teil des Lebens und als Ende der menschlichen Existenz akzeptiert, sondern als Übergang zum wahren, nämlich unsterblichen, spirituellen ewigen Leben betrachtet. Der Tod ist nach traditioneller christlicher Lehre Folge der Sünde. Erlösung von der Sünde heisst denn unter anderem auch: Erlösung von der sündigen, körperlichen und vergänglichen Existenz zu einem erlösten, jenseitigen Leben. Die Lehre von einem Leben nach dem Tod habe nicht nur das konkrete irdische und körperliche Leben abgewertet gegenüber einer zukünftigen himmlischen Existenz, so die Kritik feministischer Theologinnen; sie habe letztlich auch die Endlichkeit und Vergänglichkeit als Teil unserer Geschöpflichkeit geleugnet.

Diese Leugnung von Tod und Endlichkeit – nicht nur in der christlichen Theologie, sondern überhaupt in der westlichen Kultur – ist in den Augen vieler feministischer Theologinnen auch das Fundament für die ambivalente, ja negative Sicht der Trias Natur, Körper und Frau in unserer patriarchalen Kultur. Die Angst vor dem Körper sei letztlich die Angst vor dem Tod. Denn der Körper ist der Ort, an dem sich unsere Vergänglichkeit, unsere endliche und sterbliche Geschöpflichkeit am deutlichsten offenbart. Die negative Sicht des Todes hat in der abendländischen christlichen Kultur daher auch zu einer eher negativen Sicht des (sterblichen) Körpers geführt, dessen fleischliche Bedürfnisse es zu kontrollieren und dessen Vergänglichkeit es zu überwinden galt. Die Frauen – während Jahrhunderten von einer patriarchalen Theologie und Philosophie mit dem Körper und der Natur identifiziert – wurden wie diese der Kontrolle und Gewalt des männlichen Geistes unterworfen.

 

Unsterblichkeit ein männliches Verlangen?

Zu fragen, ob das Interesse an Unsterblichkeit ein männliches sei, mag seltsam erscheinen. Denn wenn es irgendeinen Punkt gibt, wo Frauen und Männer gleich sind, dann ist es in ihrer fundamentalen Endlichkeit. Doch die Frage ist nicht, ob Männer und Frauen die gleiche Sterblichkeit teilen. Sie lautet vielmehr, ob Frauen das gleiche Interesse haben, ihre Sterblichkeit mit Hilfe von Lehren einer unsterblichen Seele oder einem ewigen Leben nach dem Tod zu verdrängen bzw. zu leugnen, wie die feministische Theologin Rosemary Radford Ruether schreibt. Die Frage lautet, ob das Bedürfnis nach Unsterblichkeit, nach Beherrschung bzw. Überwindung der eigenen Sterblichkeit – das heute in der Gentechnologie, deren Ziel die Abschaffung des Todes scheint, einen neuen, ungeahnten Höhepunkt erreicht – Ausdruck eines männlichen Individualismus und Egoismus ist. Eines Individualismus, der letztlich nicht nur den Tod, sondern auch das Leben leugnet, indem er sich von den konkreten Lebensprozessen abschneidet und seine Abhängigkeit von der Natur (und den Frauen) verdrängt.

 

Gegen eine Kultur des Todes für ein gutes Leben vor dem Tod

Haben Frauen, seit altersher zuständig gemacht für die Sorge um das Leben, für die Pflege der Kranken, Alten und Sterbenden, eine andere Sicht von Sterblichkeit und Tod? Auffällig ist jedenfalls, dass feministische Theologinnen kaum Spekulationen über Unsterblichkeit und individuelles Weiterleben nach dem Tod anstellen. Was nicht heisst, dass alle Theologinnen die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod prinzipiell ablehnen. Aber ihr Interesse gilt in erster Linie dem Leben vor dem Tod, dem Leben hier und jetzt, einem Leben in Würde, einem guten und gerechten Leben für alle Menschen, vor allem aber für Frauen, deren Leben weltweit von (Männer-)Gewalt und anderen Formen des Todes bedroht ist. Ihr Protest richtet sich gegen den vorzeitigen Tod, gegen Strukturen des Todes wie Militarismus, Krieg, Ausbeutung der Natur, Armut, soziale und ökonomische Ungerechtigkeit, Rassismus, sexuelle Gewalt, die das Leben von Menschen beschädigen, die Seelen und die Körper von Frauen verletzen und die Erde zerstören.

Im Zentrum feministischer Theologien steht daher nicht die Botschaft vom Kreuz, von der Erlösung durch Leiden und (Opfer-)Tod, sondern die biblische Vision von Heil als umfassendem Heilwerden – körperlich, psychisch und sozial, von einem "Leben in Fülle" für alle Menschen, wie sie in der Botschaft und Praxis des Jesus von Nazaret zum Ausdruck gekommen ist. Feministische Theologinnen weltweit entwickeln theologische Modelle, die dem Verlangen nach Heilwerden der von patriarchalen Strukturen und frauenfeindlichen Lehren verletzten Frauen dienen wollen. Sie suchen nach religiösen Symbolen und Ritualen, die den Körper und speziell den verachteten Frauenkörper als gute Schöpfung Gottes bejahen, die Vision von einem erfüllten, guten Leben für alle Menschen wach halten und uns stärken im Widerstand gegen all das, was ein solches Leben verhindert. In diesem Zusammenhang wird dann auch da und dort von einigen Theologinnen das Bild von einem Leben nach dem Tod bzw. von der Auferstehung der Toten aufgegriffen: Als Hoffnung darauf, dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphiert und dass all jenen, die eines erfüllten Lebens beraubt worden sind, Gerechtigkeit widerfährt.

 

Der "natürliche" Tod als Teil des Lebens

In den meisten feministischen Theologien finden wir ein Plädoyer für eine Theologie des Lebens, der Heilung und Heiligung des Lebens, die uns hilft, das kostbare Leben in und um uns herum zu achten und zu lieben – das konkrete Leben in seiner Schönheit, Körperlichkeit und Vielfältigkeit, in seiner Brüchigkeit, Widersprüchlichkeit und Verletzbarkeit. In diese Sakramentalität des Lebens wird auch die Endlichkeit und Vergänglichkeit hineingenommen – als Teil unserer geschöpflichen Existenz, des kosmischen Prozesses von Werden und Vergehen, in den wir Menschen wie alle Lebewesen eingebettet sind. Wie die Geburt neues Leben schenkt, ist der Tod ein Bindeglied im kosmischen Fortgang des Lebens.

Zu lernen, die Endlichkeit und das Begrenztsein unseres Lebens zu akzeptieren dies gehört für die feministische Theologin Rosemary Radford Ruether ausserdem zu den Grundvoraussetzungen einer ökologischen Theologie und Spiritualität, die heute angesichts des drohenden Biozids dringend nötig ist. Denn die christliche Auffassung von einem unsterblichen, individuellen Selbst des Menschen ist für sie eine der Quellen unseres destruktiven Verhaltens gegenüber der Erde. Wenn es uns gelingt, beides zu bejahen, den Wert unseres einmaligen, menschlichen, körperlichen Daseins und die Grenzen und die Vergänglichkeit unseres Ichs, dann können wir auch ein neues Sensorium für die Verwandtschaft mit allen anderen Lebewesen entwickeln, meint Radford Ruether. "Die materiellen Substanzen unseres Körpers leben in Pflanzen und Tieren weiter, genauso wie unser Körper von einem Augenblick zum andern von Substanzen aufgebaut wird, die früher Teil eines Tieres oder einer Pflanze waren, bis zurück in die Zeit der prähistorischen Farne und Reptilien ... Unsere Verwandtschaft mit allen Geschöpfen der Erde ist global und verbindet uns jetzt mit der ganzen lebendigen Schöpfung. Sie umfasst alle Zeitalter und verbindet unsere materielle Substanz mit allen Wesen, die vor uns auf der Erde lebten, und sogar mit dem Staub explodierender Sterne."

Auch Ivone Gebara, feministische Theologin und Ordensfrau aus Brasilien, ist überzeugt, dass wir lernen müssen, den Tod als einen Teil in uns zu integrieren, der zu allem Leben gehört. Denn wenn wir den Tod zu verbannen suchen, können wir auch das Leben in seiner Kostbarkeit nicht mehr wirklich schätzen und lieben. Aus dem Bewusstsein unserer Endlichkeit wächst die Wertschätzung des Augenblicks, des einmaligen, begrenzten Lebens, schreibt Ivone Gebara: "Nur weil die Dinge, die Ereignisse, der Frühling, die Blumen, die Menschen und die Liebe vergänglich sind, können die Menschen überhaupt die 'Ewigkeit' eines Augenblickes geniessen, das Heute, das Hier, das Jetzt. (...) Wenn wir perfekte, unsterbliche Wesen wären, gäbe es das Neue in einem Lächeln nicht, die Dankbarkeit, das Unerwartete, den Zufall, das Glück. (...) Wenn es den Tod nicht gäbe, wie könnten wir eins sein, ein einziger heiliger Körper, der die Erde und das Universum ist? (...) Der Tod ist ein Teil des Lebens, verwoben mit dem eigenen Leben, er ist Teil desselben Fadens ..."

Und dennoch bleibt die Angst vor dem Tod, vor dem Unbekannten; es bleibt der Schmerz, die Welt und die, die wir lieben, verlassen zu müssen. Und es bleibt die Frage, ob die neuen Bilder vom Leben bzw. vom Tod, wie sie feministische Theologinnen entwerfen, tragfähig sind in der existentiellen Konfrontation mit dem eigenen Sterben, ob sie die Qual des Sterbens zu lindern helfen. Auf diese Frage und andere Fragen rund um den Tod, dieses grosse Geheimnis, weiss ich keine Antwort. Aber vielleicht geht es ja beim Nachdenken und Reden über den Tod in erster Linie gar nicht um den Tod, sondern um das Leben: wie wir es angesichts seiner Endlichkeit und Vergänglichkeit hier und heute leben.

 

Doris Strahm

 

Literatur

FAMA. Feministisch-theologische Zeitschrift, Nr. 4 (16.Jg.), November 2000: Frauen und Tod.

Ivone Gebara, Warum der Tod?, in: Das Seufzen der Schöpfung. Ökofeministische Beiträge aus Lateinamerika, EMW/NMZ Verlag, Hamburg 1998, 79-83.

Rosemary Radford Ruether, Gaia & Gott. Eine ökofeministische Theologie der Heilung der Erde, Edition Exodus, Luzern 1994.

Schlangenbrut. Streitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen, Nr. 55 (14.Jg), November 1996: Sterben und Tod.

 

 

© Doris Strahm 2001