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Das Seufzen der Schöpfung und unser Seufzen – Schritte zu einer ökofeministischen Theologie

 

Vortrag vom 14. September 1999 in der Titus-Kirche Basel, im Rahmen der Reihe: "Natur – Umwelt – Schöpfung"

 

Die Erde, auf der wir leben, ist krank; wir wissen es, hören und lesen es täglich: Die Fischbestände in den Ozeanen werden bis zu ihren Grenzen dezimiert, der Grundwasserspiegel fällt auf allen Kontinenten, jedes Jahr sterben mehrere Dutzend Arten aus, Weidegebiete werden übernutzt und Ackerland geht durch Erosion verloren, die Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre nimmt zu und die Zerstörung der Ozonschicht geht weiter, das Klima verändert sich, das Eis der Pole schmilzt. Der Geruch von Abgasen liegt in unseren Städten in der Luft, die Ozonwerte liegen seit Tagen über den Grenzwerten, unsere Augen brennen, der Kopf tut weh, der Hals juckt. In unserer Nahrung wird Dioxin gefunden, immer mehr Menschen leiden unter Allergien, und das Risiko, an Hautkrebs zu erkranken, hat stark zugenommen. Wir seufzen und die Schöpfung seufzt, krankgemacht durch uns und unsere westlichen Lebensweise.

Seit Jahrzehnten macht die Ökologiebewegung auf die fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufmerksam und ruft zu einem Umdenken, einer ökologischen Ethik auf, die auf einer neuen Beziehung zur Umwelt und einem anderen Lebensstil beruht. Feministinnen bzw. Ökofeministinnen gehen noch einen Schritt weiter: Sie zeigen, dass in unserer westlichen Kultur ein fundamentaler Zusammenhang besteht zwischen der patriarchalen Unterdrückung der Frau und der Ausbeutung der Natur. Das Wort "Ökofeminismus", das sich aus den beiden Begriffen "Ökologie" und "Feminismus" zusammensetzt, wurde von Frauen geschaffen, um diesen Zusammenhang zwischen der Unterdrückung der Natur und der Unterdrückung der Frauen deutlich zu machen und um den Kampf für die Würde und Integrität der Frauen mit dem Kampf für den Respekt vor der Natur und ihren Prozessen zu verbinden. Es ist ein Wort, das sich gegen die Unterdrückung der Frauen und der kulturell als "weiblich" qualifizierten Werte und Haltungen sowie gegen die Zerstörung und Ausbeutung des Lebens wendet, die von patriarchalen Systemen weltweit betrieben wird.[1]

Ebenso wie die Umweltbewegung ist der Ökofeminismus in verschiedenen Teilen der Welt auf dem Hintergrund der weltweiten ökologischen Krise entstanden und umfasst verschiedene Strömungen. Einige Strömungen des Ökofeminismus befassen sich hauptsächlich mit den kulturellen und symbolischen Konstruktionen von "Natur" und "Frau", d.h. sie untersuchen die Art und Weise wie Philosophie, Religion und Wissenschaft das Verhältnis von Frau und Natur in unserer Kultur definiert und beide der männlichen Kontrolle und Gewalt unterworfen haben. Einzelne Vertreterinnen dieser Richtung postulieren eine alternative weibliche Kultur, die auf sog. weiblichen Werten und auf einem anderen Verhältnis zur Natur als unserer Mutter Erde beruht.

Andere Strömungen des Ökofeminismus untersuchen vor allem die sozio-ökonomischen und politischen Strukturen, die dazu führen, dass Frauen, ihre Körper und ihre Arbeitskraft, ebenso wie die natürlichen Ressourcen ausgebeutet werden. Der weltweite Siegeszug des Kapitalismus bzw. des freien Marktes, das ungebremste Wirtschaftswachstum und das unmässige Konsumverhalten der reichen Industrienationen führt nicht nur zur Zerstörung der Natur und der natürlichen Ressourcen, sondern bedroht auch das Leben unzähliger Menschen in der sog. Dritten Welt. Vor allem die Frauen der armen Länder des Südens sind die Opfer der ökologischen Krise. Als jene, die für die Reproduktion des Lebens zuständig sind bzw. zuständig gemacht werden, ist die Arbeit der Frauen in besonderer Weise auf die Natur bezogen: Sie sind es, die das Wasser holen müssen, die für den Anbau der Nahrungsmittel und die Ernährung der Kinder zuständig sind. Doch die Abholzung der Wälder und die Zerstörung des Ackerbodens durch Monokulturen berauben sie zunehmend ihrer Lebensgrundlagen. Für diese Frauen ist die ökologische Frage schon jetzt eine Überlebensfrage. Sie stehen täglich vor der Frage, wie sie den Schrei ihrer Kinder nach sauberem Wasser und ausreichender Nahrung stillen sollen. Die hungernden und leidenden Körper dieser Frauen und ihrer Kinder zeigen das Ausmass der Ausbeutung und Zerstörung an, das der globalisierte Kapitalismus anrichtet. "Frauen, Natur und Dritte Welt" sind nach Ansicht von Ökofeministinnen der Dritten Welt die drei Kolonien des "weissen" Mannes, deren Entwertung, Ausbeutung und Zerstörung zusammenhängen. Zur Lösung der ökologischen Krise braucht es daher nicht nur eine andere Einstellung zur Natur und eine andere Beziehung zwischen den Geschlechtern, sondern ebenso eine andere, gerechte Wirtschaftsordnung und alternative, umweltverträgliche Formen des Wirtschaftens sowie eine Veränderung unseres westlichen Konsumverhaltens und Lebensstils. Ökofeministinnen der Dritten Welt wie z.B. Vandana Shiva sehen in der von Frauen praktizierten Subsistenzwirtschaft des Südens eine solche alternative Wirtschafts- und Lebensform, eine Form von vorsorgendem und umweltgerechtem Wirtschaften, die das Überleben lokaler Gruppen sichert, ohne die Regenerationsfähigkeit und Vielfalt der Naturprozesse zu zerstören.

Angeregt durch die Ökologiebewegung und den Ökofeminismus haben auch Theologinnen, insbesondere Theologinnen aus den USA und der sog. Dritten Welt, in den letzten Jahren begonnen, eine ökofeministische Theologie zu entwickeln und neu und anders über die Welt, über Gott und die Menschen zu reden. Denn es ist nicht zuletzt die christliche Theologie gewesen, die mit ihrer Rede von der dualistischen Trennung von Gott und Welt, von Schöpfer und Geschöpf, von Geist und Materie, von Mann und Frau die Beziehung zwischen den Geschlechtern und das Verhältnis der Menschen zur Natur in den westlichen Kulturen zutiefst geprägt hat. Eine Veränderung der traditionellen theologischen Sichtweisen ist für diese Theologinnen deshalb nicht nur eine theologische Aufgabe, sondern auch eine zutiefst politische Aktion. Nur eine radikale Veränderung der Beziehungen zwischen Frauen und Männern, zwischen den Menschen und dem Göttlichen, zwischen den Menschen und der Erde kann ihrer Ansicht nach helfen, den Biozid zu verhindern.

Wie eine Theologie aussieht, die auf einer neuen Beziehung von Frau und Mann, zwischen den Menschen und dem Göttlichen, zwischen den Menschen und der Erde beruht, dieser Frage möchte ich in meinem Vortrag nachgehen. Beginnen möchte ich jedoch mit der Frage, inwiefern das traditionelle Christentum mit seinem Gottes- und Schöpfungsverständnis für die ökologische Krise mitverantwortlich ist, wie das viele UmweltschützerInnen und ökofeministische Theologinnen behaupten, und inwiefern die männliche Vorherrschaft über die Frauen in der westlichen Kultur mit der Herrschaft über die Natur verwoben ist. Ich kann dabei allerdings nur ganz grobe Linien skizzieren.

 

I. Christlich-westliches Weltbild und die Sicht von Frau und Natur

Der biblische Schöpfungsmythos und seine christliche Wirkungsgeschichte

Schöpfungsgeschichten oder Mythen von der Entstehung des Universums, der Erde und der Menschheit widerspiegeln die Vorstellungen von Menschen über die Beziehung zwischen dem Göttlichen und Irdischen, dem Geistigen und dem Körperlichen, zwischen Mann und Frau, zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren, dem Land, den Gewässern und Gestirnen. Sie sind ein Spiegel des Weltbildes einer bestimmten Kultur und überliefern dieses Weltbild an künftige Generationen.

Das westliche Christentum bezieht sich auf die Schöpfungsgeschichte aus der Hebräischen Bibel, auf den Bericht in Genesis 1 über die Erschaffung der Welt, als seiner Schöpfungsgeschichte. In dieser wird die Erschaffung der Welt nach der 7-Tage-Struktur der Woche beschrieben: Der Schöpfer erschafft am ersten Tag das Licht, indem er es von der Dunkelheit scheidet und so Tag und Nacht einrichtet; am zweiten Tag wird das Himmelsgewölbe erschaffen, am dritten Tag erhebt sich aus den unteren Gewässern das trockene Land, und die samentragenden Pflanzen und fruchttragenden Bäume erscheinen. Am vierten Tag formt der Schöpfer die Sterne, die Sonne und den Mond, damit sie über Nacht und Tag herrschen. Am fünften Tag werden die Fische und Vögel erschaffen. Am sechsten Tag die Landtiere, das Vieh, die Reptilien und wilden Tiere und schliesslich die Menschen. Der Mensch unterscheidet sich von den Tieren darin, dass er "nach dem Bilde Gottes" geschaffen ist. Ihm wird die Herrschaft über alle Tiere der Erde, Fische, Vögel und Landtiere übertragen. Alle samen- und fruchttragenden Pflanzen sollen den Menschen als Nahrung dienen, während die grünen Pflanzen den wilden Tieren, Vögeln und Reptilien zur Nahrung bestimmt werden. Mit der Vollendung jedes Tageswerkes wird das Werk des Schöpfers gesegnet, indem es als "gut" bezeichnet wird. Am siebten Tag, nach Vollendung der Schöpfung, ruht der Schöpfer und heiligt diesen Tag als Ruhetag für den Menschen und die Erde.

Die Schöpfung, wie sie in Genesis 1 beschrieben wird, scheint stark anthropozentrisch, d.h. auf den Menschen bezogen: Obwohl die Menschen zuletzt geschaffen wurden, sind sie der Höhepunkt der Schöpfung und erhalten Herrschaftsrechte über sie. Viele heutige UmweltschützerInnen kritisieren dieses anthropozentrische Schöpfungsverständnis der Bibel und sehen darin ein Ur-Modell für die ausbeuterische Haltung der Menschen der Natur, den Tieren und Pflanzen gegenüber, welche die westliche, christliche Kultur durchzieht. Der biblische Schöpfungsbericht selber redet allerdings nicht von einer ausbeuterischen Herrschaft des Menschen über die Erde. Die Menschen erhalten nicht das Verfügungsrecht über die Erde; die Erde gehört Gott. Die Menschen haben nur Gast- und Nutzniessungsrecht; ihre Herrschaft ist stellvertretend, indem sie als Sachverwalter Gottes über die Erde und die Lebewesen walten und Verantwortung für die Schöpfung tragen. Das Wort für den Menschen, adam, von adamah = die Ackererde, geht von einer tiefen Verwandtschaft zwischen Mensch und Erde aus. Der Mensch ist ein "Erdling" und seine Herrschaft über die Erde begrenzt. Zum einen durch seine Vergänglichkeit – Gott hat die Menschen aus Erde geschaffen und lässt sie wieder zu ihr zurückkehren (Jesus Sirach 17,1-2), und zum andern dadurch, dass die Erde nicht des Menschen Eigentum ist, mit dem er nach Belieben umgehen kann, sondern Gottes gute Schöpfung, über der sein Segen ruht.[2] Dennoch wurde in der christlichen Rezeption von Genesis 1 ein Eigentums- und Herrschaftsrecht des Menschen über die Erde abgeleitet.

Was die Beziehung zwischen Mann und Frau betrifft, so sind nach Genesis 1 beide nach dem Bilde Gottes geschaffen und gleichgestellt: "Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie." Doch diese schöpfungsmässige Gleichheit von Mann und Frau als Ebenbild Gottes wurde in der christlichen Auslegungsgeschichte abgeschwächt und teilweise sogar geleugnet, und dies bis ins 20. Jahrhundert hinein. So wurde in der christlichen Tradition vor allem Genesis 2 rezipiert, eine ältere, volkstümliche Erzählung über die Erschaffung von Mann und Frau. Nach dieser Erzählung wurde der Mann zuerst erschaffen und die Frau erst nachträglich aus Adams Rippe geformt. Daraus leitete die christliche Theologie eine schöpfungsmässige Zweitrangigkeit der Frau sowie ihre Unterordnung unter den Mann ab. Genesis 2 und vor allem die nachfolgende Erzählung vom Sündenfall in Genesis 3, die von der christlichen Tradition so interpretiert wurde, dass der Frau die Verantwortung für die Sünde zugeschrieben wird, haben das christliche Frauenbild in hohem Mass bestimmt und während Jahrhunderten dazu gedient, die Vorstellung von der schöpfungsmässigen Zweitrangigkeit und Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann als schöpfungsmässige, gottgewollte Ordnung zu legitimieren.

Dazu kommt, dass Genesis 1-3 von der christlichen Kirche mit der "Brille" der platonischen, neuplatonischen und aristotelischen Philosophie gelesen wurde. D.h. sie interpretierte die Schöpfungsgeschichten auf dem Hintergrund eines philosophischen Denkens, das – anders als das hebräische Denken – von einem hierarchischen Dualismus zwischen Geist und Materie, Seele und Leib, Mann und Frau ausging. Die Frau wird in dieser dualistischen Sicht mit dem Körper, der Natur identifiziert, die es durch den männlichen Geist zu kontrollieren und beherrschen gilt. So schrieb z.B. Aristoteles, dessen Lehre von der christlichen Theologie rezipiert wurde und jahrhundertelang die christliche Anthropologie, die Lehre vom Menschen, bestimmt hat: "Zwischen Männern und Frauen und Freien und Sklaven wie zwischen Mensch und Tier besteht das gleiche Verhältnis wie zwischen Seele und Körper, Vernunft und Leidenschaft. So ist das eine besser und begabter und das andere geringer, so muss das eine regieren und das andere regiert werden." In der von Männern entworfenen abendländischen Philosophie und Theologie wurde die Frau zur Projektionsfläche all dessen, was im Rahmen einer dualistischen Weltsicht als minderwertiger galt: die Vergänglichkeit und Sterblichkeit des körperlichen Daseins, die Unkontrollierbarkeit der Triebe, die körperlichen Begierden und die Sexualität, während die Männer ihr ideales Selbst mit Geist, Vernunft und Wille identifizierten. Diese Sicht hat das Frauen- und Männerbild, das Verhältnis zum Körper und zur Natur in der westlich-christlichen Kultur während Jahrhunderten geprägt.

 

Gleichsetzung von Frau und Natur

Die dualistische Gleichung: Frau = Natur, Mann = Kultur durchzieht die abendländische Kultur von der Antike bis in unser Jahrhundert. Die patriarchale Kultur hat Frauen als naturnäher definiert: So wurde der weibliche Körper in grösserer Nähe zur Natur gesehen als der Körper des Mannes. Frauen hätten aufgrund ihres weiblichen Körpers die natürliche Aufgabe, neues Leben zu produzieren, während die Männer ihre natürliche Existenz übersteigen, transzendieren, indem sie die Natur gestalten, sie im Sinne ihrer Zielsetzungen und Interessen formen. Der Mann schafft also kulturelle Produkte, die die Zeit überdauern, während die Frau lediglich die Art reproduziert. Zudem wurden der Frau aufgrund ihrer weiblichen Natur auch andere psychische Qualitäten zugeschrieben wie z.B. Mütterlichkeit, Emotionalität, Personenbezogenheit, Sinnlichkeit, Intuition. Die Männer dagegen identifizierten ihr Selbst mit Geist, Vernunft und Wille – jenen Qualitäten, die als der Natur überlegen und höherwertig galten. So wurde die Frau während Jahrhunderten auf die Naturseite der Natur-Kultur Opposition gesetzt und mit all dem identifiziert, was dem männlichen Geist als minderwertig galt: die Natur, der Körper, die Sexualität, die Vergänglichkeit und Sterblichkeit.

Aber nicht nur die Frauen wurden mit der Natur identifiziert; auch die Natur wurde umgekehrt als "weiblich" erfahren und als Mutter Erde, Mutter Natur bezeichnet. In allen alten Kulturen und Religionen wurde das Geheimnis der Ordnung und Fruchtbarkeit des Lebens im Bild der "Grossen Mutter" dargestellt. Diesem positiven Bild der Natur als einer grossen und nährenden Mutter stand allerdings auch ein negatives Bild gegenüber: das Bild von der wilden, unberechenbaren und unbeherrschbaren Natur, die Gewalt und Chaos verursachen kann. Auch dieses Bild von der Natur wurde als "weiblich" bezeichnet. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde das Bild von der Natur als nährende und behütende Mutter durch den Beginn der Naturwissenschaft dann mehr und mehr verdrängt vom Bild der weiblichen Natur, die in ihrer Passivität oder in ihrer Wildheit vom Menschen bzw. vom Mann beherrscht, unterworfen und gezähmt werden soll.

Die Gleichsetzung von Frau und Natur, die das abendländische Denksystem seit der Antike durchzieht, steht somit auch am Anfang der modernen Naturwissenschaft. Francis Bacon (1561-1626), der als Begründer der wissenschaftlichen Methode gilt, spricht von der Natur stets in weiblichen Bildern: Die Natur muss genötigt und erobert werden; es muss in sie eingedrungen werden, sie wird gezwungen, etwas zu liefern, ihre Geheimnisse preiszugeben. Bacons Sprache ist durchdrungen von Bildern der Vergewaltigung und Unterwerfung der Frau, die er auf die Natur überträgt. Wissenschaftliche Erkenntnis wird verstanden als ein Machtinstrument zur Unterwerfung der Natur und der männliche Forscher als ein Held, der Macht über die Natur erringt und sie seinen Interessen und Bedürfnissen unterwirft. Diese Sicht hat ein Verständnis von moderner Naturwissenschaft grundgelegt, das durch Kontrolle, männliche Aggressivität und Herrschaft über die als weiblich konnotierte Natur charakterisiert ist.

 

Unheilvoller Dualismus von Gott und Welt, Seele und Körper, Leben und Tod

Doch diese dualistische und hierarchische Sicht hat nicht nur Frauen und Natur als das "Andere" des Mannes definiert und zum Objekt seiner Beherrschung gemacht, sondern auch die Trennung zwischen Gott und Welt verstärkt und die Natur entsakralisiert und entgöttlicht. Dieser Vorgang beginnt bereits in der Hebräischen Bibel, wird im Christentum aber verstärkt. Während die Hebräische Bibel das Bild eines Gottes kennt, der Freude hat am Werk seiner Schöpfung und auch in der Natur immer wieder als gegenwärtig erfahren wird, wie es in vielen Psalmen heisst, so sieht das hellenistische Christentum Gott als transzendentes, unbewegtes, unveränderliches und ewiges Sein – getrennt von der Schöpfung und den vergänglichen Geschöpfen. Die Natur wird damit entgöttlicht und zu einem verfügbaren Objekt für den Menschen. Andererseits wird die Schöpfung auch im Christentum als etwas gesehen, das von Gott geschaffen und durch Gott im Dasein erhalten wird. Ähnlich ambivalent wie die Beziehung zwischen Gott und Schöpfung wird im Christentum auch die Beziehung zwischen Körper und Seele gesehen. So wird einerseits die hebräische Auffassung von der Seele als Lebensprinzip des Körpers übernommen, gleichzeitig aber auch die platonische Vorstellung von der unsterblichen Seele, die im Körper wie in einem Gefängnis existiert und sich nach Erlösung aus der irdischen, sterblichen Existenz sehnt. Die Auffassung, die Seele sei geschaffen und sei dennoch getrennt vom Körper zu einem transzendenten, unsterblichen Leben fähig, verstärkte im Christentum die scharfe Trennung zwischen dem Menschen und den anderen Lebewesen, die keine vernunftbegabte, für ein unsterbliches Leben bestimmte Seele haben und deshalb vom Menschen nach Belieben ausgebeutet werden können.[3]

Eine weitere Vorstellung, die zur Abwertung und Ausbeutung der Erde und der Geschöpfe beigetragen hat, ist die christliche Vorstellung von Tod und Endlichkeit als Folge der Sünde. Im hebräischen Verständnis gehört die Sterblichkeit zur natürlichen Bedingung unseres Menschseins, die wir mit allen andern Lebewesen auf der Erde teilen und die uns mit ihnen verbindet. Die christliche Sicht des sterblichen Lebens als schlecht und als Frucht der Sünde dagegen hat zur Verachtung des irdischen Lebens, des vergänglichen Körpers sowie zur Leugnung unserer Gemeinsamkeit mit den sterblichen Geschöpfen der Erde beigetragen.[4]

Zwar sind in der Geschichte des Christentums immer wieder auch andere Sichtweisen von der Beziehung des Menschen zur Natur – seiner eigenen Natur und der Natur ausserhalb von ihm – aufgetaucht, ich nenne als Beispiel nur Franz von Assisi oder Hildegard von Bingen, doch diese anderen Vorstellungen sind Ausnahmen geblieben und haben die offizielle Theologie des Christentums kaum geprägt. Diese hat uns das Erbe einer dualistischen und androzentrischen Weltsicht hinterlassen, die heute von feministischen und ökofeministischen Theologinnen grundlegend kritisiert wird.

Damit komme ich zum zweiten Teil meines Vortrags. Ich möchte im Folgenden zeigen, wie ökofeministische Theologinnen versuchen, eine Theologie und Spiritualität zu entwickeln, die nicht mehr auf dualistisch-hierarchischen Modellen beruht und den Respekt vor allem Lebenden fördern will. Dabei geht es mir nicht darum, Ihnen einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Modelle ökofeministischer Theologie zu geben. Ich möchte Ihnen vielmehr einige Gedanken von ökofeministischen Theologinnen aus der Ersten und aus der Dritten Welt vorstellen, die mich persönlich faszinieren und so etwas wie einzelne Bausteine darstellen für die Entwicklung einer ökologischen Spiritualität, die auf das Seufzen der Schöpfung hört und der Heilung der Erde und unserer Heilung dient.

 

II. Ansätze ökofeministischer Theologie und Spiritualität

Ökofeministische Theologie und ein neues Schöpfungsverständnis

Ökofeministische Theologie ist mehr als nur eine Ergänzung zur traditionellen christlichen Theologie. Denn ökofeministische Theologinnen stellen das philosophische Fundament der christlichen Theologie in Frage – den hierarchischen Dualismus von Gott und Welt, von Gott und Mensch, von Mann und Frau, von Seele und Körper, von Geist und Materie. Dieser Dualismus muss überwunden und durch eine Weltsicht ersetzt werden, die von der Verbundenheit und Interdependenz allen Lebens ausgeht: Alle Lebewesen und alle vitalen Prozesse sind voneinander abhängig. Die dualistische Sicht der Welt, welche vom Prinzip der Trennung und Beherrschung geprägt ist, wird durch eine neue Sicht abgelöst, welche die Wirklichkeit als durch Diversität, Relationalität, Vielfalt und Einheit gekennzeichnet sieht und Vielfalt und Verschiedenheit nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung sieht – auch gesellschaftlich, kulturell und religiös.

Ökofeminismus unterstreicht des weiteren die Vorstellung, dass wir und die ganze Schöpfung ein einziger Körper sind, die auf einer tiefen Ebene zusammengehören. So, dass wenn ein Teil des Körpers verletzt wird, sich der ganze Körper angegriffen fühlt. Wir Menschen sind nicht die Herren der Schöpfung, sondern Teil eines immensen und pulsierenden Körpers, der sich in Milliarden Jahren entwickelt hat und noch weiter entwickelt. Die Schöpfung wird wie ein grosser Organismus gesehen, der sich in einem ständigen kreativen Prozess befindet, und gleichzeitig immer wieder neu beginnt. So schreibt die brasilianische Theologin Ivone Gebara, eine der führenden ökofeministischen Theologinnen aus Lateinamerika: "In jeder Sekunde beginnt die Schöpfung wieder neu und lebt gleichzeitig weiter fort. Es ist ein fortlaufender Beginn, jederzeit neu. In jeder Sekunde werden alle Elemente auf geheimnisvolle Weise neu geschaffen und zerstört. In jeder Sekunde kann Respekt oder katastrophaler Nichtrespekt und Tod entstehen. In jeder Sekunde wird aus dem Chaos die Ordnung geschaffen oder die besondere Zugehörigkeit aller Lebewesen. Und es wird auch die Unordnung, die Zerstörung geschaffen das, was wir in unserer Alltagssprache das Böse nennen. Es ist nicht wichtig zu wissen, wann alles begann und auch nicht, wie alles war. (...) Was zählt ist, dass wir heute am Anfang stehen, dass wir alles fortwährend neu schaffen, im Neuen und in der Monotonie unserer Tage, im Gleichen und Verschiedenen eines jeden Lebewesens."[5]

Verbunden mit einem solch neuen Schöpfungsverständnis, in dem wir Menschen uns als Teil eines lebendigen Leibes verstehen, verbunden mit der ganzen Erde, den Sternen, dem Sonnensystem und dem ganzen Kosmos, ist für Ivone Gebara eine globale Verhaltensänderung. Diese muss aber bei unseren lokalen Gewohnheiten anfangen, schreibt Gebara, "in unseren Häusern, in unserem kreativen täglichen Tun, bei unseren Körpern. Wir sollten anfangen, unsere Strassen als unsere Körper zu empfinden, das Wasser, das wir trinken, und die Luft, die wir atmen, wie unseren eigenen Körper zu spüren, unsere Nahrung. Wir sollten den Hunger von anderen stärker als eigenen Hunger empfinden, die Arbeitslosigkeit von anderen als unsere Arbeitslosigkeit. Wir sollten einen neuen gemeinschaftlicheren Begriff von sozialer Gerechtigkeit entwickeln."[6]

Die Verbindung des Globalen mit dem Lokalen in unserer Schöpfungsvorstellung könnte helfen, den schöpferischen Prozess als einen lokalen Prozess wahrzunehmen, der vom Globalen nicht zu trennen ist. Dazu nochmals Ivone Gebara: "Es ist keine 'Produktion' von einigen für andere, was wieder auf Beherrschung hinauslaufen würde, sondern effektive und affektive Teilnahme an einem kreativen Prozess. Schöpfung als einen Prozess zu verstehen, der lange vor uns begann, von dem wir aber integraler und notwendiger Bestandteil sind, lässt keinen Raum mehr für das Gefühl, dass wir nichts tun können, dass imperialistische Politiker uns etwas aufzwingen. Die Schöpfung als eine dauernde Freisetzung von göttlicher Energie in uns allen zu sehen, lässt uns in kollektiver Form unsere lokale Verantwortung übernehmen für die Schöpfung der Welt und für uns selbst."[7] Das neue Schöpfungsverständnis, von dem Ivone Gebara spricht, ist eine spirituelle Haltung, die sowohl den Dualismus von Gott und Welt wie auch die Anthropozentrik der christlichen Theologie die Menschen sind das Zentrum und die Herren der Schöpfung grundlegend in Frage stellt.

Eine ähnliche Sicht vertreten auch christliche Theologinnen aus Asien, in deren kulturellen und religiösen Traditionen die Natur und der Kosmos anders als im westlichen Christentum einen hohen Stellenwert haben. So plädiert z.B. die südkoreanische Theologin Chung Hyun Kyung, die seit ihrem Auftritt an der 7. Vollversammlung des Ökumenischen Rates 1991 in Canberra auch im Westen bekannt geworden ist, für eine Umkehr von der Anthropozentrik des Christentums zu einer lebens- und schöpfungszentrierten Spiritualität, in der die Menschen sich wieder als Teil des Kosmos verstehen und die Erde als Mutter allen Lebens und als "von Gott durchtränkten Ort" achten. Die Bibel und die christliche Tradition aus der Sicht der Unterdrückten zu lesen, bedeute heute, sie auch aus "der Perspektive der Vögel, des Wassers, der Luft, der Bäume und Berge" zu lesen, schreibt Chung Hyun Kyung. "Denken zu lernen wie ein Berg, unser Zentrum von den Menschen auf alle Lebewesen verlagern – das ist jetzt unsere Verantwortung, wenn wir überleben wollen."[8]

Eine zweite Umkehr oder Richtungsänderung, die nötig ist, um auf unserem Planeten eine Überlebenschance zu haben, ist nach Chung Hyun Kyung der Übergang vom Prinzip des Dualismus zum Prinzip der Verknüpfung und Verbundenheit. Im ostasiatischen Denken drückt der Begriff "KI" ein solches nicht-dualistisches Prinzip aus. KI ist die Lebensenergie, der Atem und der Wind des Lebens - ähnlich der biblischen Ruach, dem lebenspendenden Atem Gottes. KI ist die vitale Kraft, die das All durchströmt und in Harmonie zusammenhält; KI ist die Lebenskraft, die in der harmonischen Verknüpfung zwischen Himmel, Erde und den Menschen gedeiht. Wenn irgendeine Spaltung oder Teilung besteht, kann KI, die Lebenskraft, nicht fliessen, und dies führt zu Zerstörung oder Krankheit der Lebewesen. Um zu überleben, müssten wir nach Chung Hyun Kyung lernen, nicht in einem trennenden und zerstörenden Dualismus zu leben, sondern in einer Weise, in der die lebensfeindlichen Spaltungen überwunden werden, so dass KI fliessen kann und alle Wesen miteinander verbunden sind.[9]

 

Ökofeministische Theologie und ein neues Verständnis des Göttlichen

Ökofeministische Theologie hinterfragt auch das traditionelle christliche Gottesbild, das Gott jenseits der Welt, über den Menschen und der Natur stehend sieht. Ein solches Bild, das Gott als allmächtige, unabhängige, autonome und unveränderbare Person versteht, ist für ökofeministische Theologinnen Produkt einer von Männern verfassten Theologie. Diese hat sich ein Bild von Gott gemacht, das dem Selbstbild des westlichen Mannes entspricht, der sich in der Abgrenzung, der Abgrenzung vom Körper, der Natur, der Frau bzw. dem Weiblichen, dem Materiellen definierte. In einer ökofeministischen Perspektive dagegen gibt es keine Vorstellung von Gott als dem ganz Anderen, als einem höchsten und absolut autonomen Wesen, das beziehungslos über der Welt und den Menschen steht. Gott ist vielmehr jenes Geheimnis, wie Ivone Gebara schreibt, in dem wir leben und sind und das wir das Göttliche nennen. Eine ökofeministische Theologie unterstreicht, "dass Gott überall und deshalb alles heilig ist"[10]. Diese Sicht wird auch "Pan-en-theismus" genannt, das heisst: in allem ist "Gott", was nicht bedeutet: alles ist "Gott". Wären wir ein wenig mehr panentheistisch, meint Ivone Gebara, dann hätten wir vielleicht auch mehr Respekt vor den Menschen, vor denen, die im Elend leben, vor der Natur, den Flüssen und Meeren. Wir wären wohl auch kontemplativer. Die US-amerikanische Theologin Sallie McFague hat für diese Sicht, welche die Immanenz und Präsenz des Göttlichen in der Welt betont und gleichzeitig seine Transzendenz bewahrt, die Metapher von der Welt als Leib Gottes geprägt. Auch asiatische Theologinnen entwickeln Bilder eines Gottes, der/die in der ganzen Schöpfung erfahren wird. Wenn wir in Berührung sind mit der Schöpfung, so asiatische Theologinnen, sind wir in Berührung mit dem Göttlichen.

Gott, das Göttliche ist für diese Theologinnen, wie wir sehen, kein Wesen, keine Person. Diese Vorstellung mag uns ChristInnen befremden, da die christliche Theologie ein personales Gottesbild vertritt. Doch was würde geschehen, wenn wir die Vorstellung von Gott als Person aufgeben, die in der christlichen Theologie bis heute vorwiegend als männliche Person, als göttliche Vatergestalt vorgestellt wird? Was würde geschehen, wenn wir die Vorstellung von einem "Gott" da oben aufgeben, der in Anspruch genommen werden kann für politische Programme von rechts und links, mit dem weltliche und kirchliche Herren während Jahrhunderten ihre Machtansprüche rechtfertigten, indem sie Gott als einzig, als universal und männlich definierten? Was würde geschehen, wenn es auf einmal den grossen Vater im Himmel nicht mehr geben würde und "die Religionen nicht mehr ihre imperialistischen Unternehmungen mit ihm rechtfertigen könnten" – ihre heiligen Städte, ihre Macht, die "von oben" kommt, ihre Lehre, mit der sie Wahrheit beanspruchen? "Und wenn dann plötzlich klar wird, dass die Macht von oben in Wirklichkeit nur von unten kommt, was geschieht dann? Wenn Gott seinen Platz wechselte und wir glaubten, dass er/sie/es, diese geheimnisvolle göttliche Kraft, mitten unter uns wohnt und in allem, was lebt?"[11]

Wenn wir das Göttliche in diesem Sinne verstehen, dann kann keine Religion für sich beanspruchen, die einzige und umfassende Offenbarung Gottes zu sein, auch das Christentum nicht. Das Christentum ist dann eine, aber nicht die einzige Offenbarung des göttlichen Geheimnisses, in dem wir leben und sind. Alle anderen Religionen sind ebenso Offenbarungen des Göttlichen und enthüllen andere Aspekte des göttlichen Geheimnisses, des göttlichen Lebensprozesses, den wir nie vollständig erfassen können.[12]

 

Ökofeministische Theologie und ein neues Menschenbild

Eine ökofeministische Theologie stellt nicht nur das traditionelle christliche Gottesbild, sondern auch die christliche Anthropologie in Frage. Diese hat einseitig den Mann zur Norm und zum Massstab des Menschseins gemacht und die Frau als das minderwertigere Andere des Mannes definiert; sie beinhaltet ausserdem eine dualistische und pessimistische Sicht des Menschen und der Welt, in welcher der Körper, die irdische Geschichte, die Natur und das Weibliche gegenüber der "höheren" Welt der Ideen, des Geistes, der Seele und des Männlichen abgewertet wird, wie ich im ersten Teil meines Vortrags gezeigt habe. Demgegenüber postuliert die ökofeministische Theologie eine ganzheitliche, egalitäre Anthropologie, in der nicht mehr der Mann, sondern Frau und Mann im Zentrum stehen und in der beide Geschlechter Subjekte der Geschichte und Bild Gottes sind. Eine ganzheitliche Anthropologie respektiert sowohl die Unterschiede wie auch die Gleichheit und tiefe gegenseitige Bezogenheit von Frau und Mann und anerkennt überhaupt die geschichtliche und kulturelle Vielfalt des Menschseins. Die ganzheitliche Anthropologie beinhaltet eine nicht-dualistische Sichtweise, die den Körper-Geist-Dualismus der westlichen Kultur überwinden will und das Menschsein als eine körperlich-geistige Einheit versteht.

Verbunden damit ist für ökofeministische Theologinnen auch eine neue Wertschätzung des Körpers, der in der christlichen Theologie stets gegenüber dem Geist abgewertet worden ist. So muss für Ivone Gebara der Körper neu zum Ausgangspunkt der Theologie werden; denn vom Körper auszugehen, heisst für sie, von der ersten Realität auszugehen, die wir sind und erkennen. "Ich plädiere für den Körper, den menschlichen, lebendigen Körper – das Zentrum aller Beziehungen. Für den Körper, dessen Schönheit wir zu bejahen lernen, den wir nicht länger als Hindernis für das Göttliche ansehen, das als reiner Geist gedacht wurde. Für den Körper, den Ort der Ekstase, aber auch der Unterdrückung, den Ort der Liebe und des Hasses. Für den Körper als den Ort des Gottesreiches und seiner Zeichen, als den Ort der Auferstehung."[13]

Doch die traditionelle Theologie gebärdet sich wie in der Fremde, fern vom Körper, ihrem Heimatland, schreibt Gebara weiter. Ja, die Verbannung des Körpers galt ihr stets als positiver Wert. Die Heimat der Theologie ist der Geist, ihre Heimat ist ein Mensch ohne Körper, Ebenbild eines Gottes ohne Körper – und dies, obwohl das Christentum verkündet, dass Gott Fleisch, Körper geworden ist. Doch dieser Beginn, die Inkarnation, die Fleischwerdung Gottes, die sich als Erlösung für die Körper erwiesen hat, wurde schon bald in einen Kampf gegen den Körper umgestaltet. In diesem Kampf war der grosse Verlierer der Körper der Frau. Ihr Körper, beladen mit der Verwundung aller Körper, lebt fern von der Theologie. Noch mehr als den menschlichen Körper fürchtet und verachtet die Männertheologie nämlich den Körper der Frau. Ihr Körper wurde nicht als Ort des Heils, sondern als Ort der Sünde betrachtet. Vom Körper auszugehen, heisst für Gebara deshalb, den Körper und insbesondere den Frauenkörper zu erlösen, "heisst ihn in der Schöpfung als zutiefst gut annehmen, heisst, die Umarmung annehmen, die in der Erschütterung des Körpers die Materie vergöttlicht... Vom Körper ausgehen, bedeutet, den menschlichen Körper als Ganzes erlösen: Mann und Frau."[14]

Mit anderen Worten: auch der weibliche Körper und nicht wie bisher nur der männliche Körper muss als Ort des Heils, der göttlichen Gegenwart und des Erlösungshandelns sichtbar gemacht werden. Der Körper der Frau ist nicht mehr der sündige Leib, wie die Kirche gelehrt hat; er ist ebenso wie der Körper des Mannes der Körper der Gnade - das Fleisch, in dem das Göttliche sich inkarniert. Dieser Tatsache muss die christliche Theologie endlich Rechnung tragen, ebenso wie der biblischen Botschaft, dass die Frau genauso wie der Mann Bild Gottes ist. Erlösung des Frauenkörpers heisst, für sein Heilwerden einzutreten, für die Achtung der Integrität und des Lebens des Körpers von Frauen zu kämpfen, die unter Armut und Hunger leiden oder männlicher Gewalt und Ausbeutung ausgeliefert sind; es bedeutet, die Heiligkeit und Schönheit des Frauenkörpers – seine Lust und erotische Leidenschaft – theologisch zu bejahen und die göttliche Kraft auch in der Sexualität zu sehen und zu feiern.

Doch was ist mit dem Tod, mit unserer Sterblichkeit, in dieser ökofeministischen Sicht des Menschseins? Die Endlichkeit und das Begrenztsein unseres Lebens zu akzeptieren, gehört für die US-amerikanische Theologin Rosemary Radford Ruether zu den Grundvoraussetzungen einer ökologischen Spiritualität. Denn die christliche Auffassung von einem unsterblichen, individuellen Selbst des Menschen ist für sie eine der Quellen unseres destruktiven Verhaltens gegenüber der Erde. Wenn es uns gelingt, beides zu bejahen, den Wert unseres menschlichen, körperlichen Daseins und die Grenzen und die Vergänglichkeit unseres Ichs, dann können wir auch ein neues Sensorium für die Verwandtschaft mit allen anderen Organismen entwickeln, meint Rosemary Radford Ruether. "Die materiellen Substanzen unseres Körpers leben in Pflanzen und Tieren weiter, genauso wie unser Körper von einem Augenblick zum andern von Substanzen aufgebaut wird, die früher Teil eines Tieres oder einer Pflanze waren, bis zurück in die Zeit der prähistorischen Farne und Reptilien ... Unsere Verwandtschaft mit allen Geschöpfen der Erde ist global und verbindet uns jetzt mit der ganzen lebendigen Schöpfung. Sie umfasst alle Zeitalter und verbindet unsere materielle Substanz mit allen Wesen, die vor uns auf der Erde lebten und sogar mit dem Staub explodierender Sterne. Wir brauchen neue Psalmen und Meditationen, um diese Verbundenheit in unserem gemeinsamen und persönlichen Beten lebendig werden zu lassen."[15]

Auch Ivone Gebara ist überzeugt, dass wir lernen müssen, den Tod als einen Teil in uns zu integrieren, der zu allem Leben gehört. Und dennoch bleibt die Angst vor dem Tod, bleibt der Schmerz, den wir fühlen, weil wir sterblich sind, die Angst vor dem Unbekannten. Doch wenn wir den Tod zu verbannen suchen, können wir auch das Leben in seiner Kostbarkeit nicht mehr wirklich schätzen und lieben, meint Ivone Gebara. Aus dem Bewusstsein unserer Endlichkeit wächst die Wertschätzung des Augenblicks, des einmaligen, begrenzten Lebens: "Nur weil die Dinge, die Ereignisse, der Frühling, die Blumen, die Menschen und die Liebe vergänglich sind, können die Menschen überhaupt die 'Ewigkeit' eines Augenblickes geniessen, das Heute, das Hier, das Jetzt. (...) Wenn wir perfekte, unsterbliche Wesen wären, gäbe es das Neue in einem Lächeln nicht, die Dankbarkeit, das Unerwartete, den Zufall, das Glück. (...) Wenn es den Tod nicht gäbe, wie könnten wir eins sein, ein einziger heiliger Körper, der die Erde und das Universum ist? Wie könnten wir der Gesang der Vögel, der Tanz der Schmetterlinge, die Farbe der Veilchen, der Rosen, der Margeriten sein? Wie wären wir das Wasser der Quelle, das in unserem Blut fliesst, der sanfte Wind, der uns atmen lässt? Wie wären wir das Feuer, das uns anzieht, das sich entzündet, ausgeht und verglüht? Wie wären wir das Grün des Mooses und der Wälder, die wachsen und wieder neu wachsen? Der Tod, der heilige Tod, ist ein Teil des Lebens, verwoben mit dem eigenen Leben, er ist Teil desselben Fadens, und deswegen ist er schön ... eine geheimnisvolle, traurige und grosse Schönheit."[16]

 

Auf dem Weg zu einer ökofeministischen Spiritualität

Ökofeministische Spiritualität, die in verschiedenen Teilen der Welt am Entstehen ist, geht von drei Voraussetzungen aus:

1. Von der Annahme der Vergänglichkeit des Ich, der Sterblichkeit, die uns mit allen anderen Lebewesen verbindet und uns einbettet in den Kreislauf alles Lebendigen. Die damit verbundene Spiritualität des Loslassens könnte uns einüben in ein anderes Verhältnis zum Leben und zur Schöpfung.

2. Von der Erkenntnis der gegenseitigen Abhängigkeit alles Seienden. Alles, was ist, steht in einer wechselseitigen Beziehung. Diese Erkenntnis ist die Grundlage für eine Spiritualität, die uns Menschen nicht mehr als Ausbeuter und Besitzer der Erde ansieht, und stellt ein Gegenmodell dar zum abendländisch-männlichen Modell von Herrschaft.

3. Von einer neuen Wertschätzung der Gemeinschaft. Nur im Miteinander können wir die Probleme, die uns und die Schöpfung bedrängen, angehen. Die Umkehr, die wir brauchen, beginnt beim Einzelnen, aber sie muss weitergehen in Gruppen, Gemeinschaften, Netzwerken, die sich gemeinsam für eine Veränderung unseres Verhaltens einsetzen und gleichzeitig lernen, innezuhalten, um wieder mit dem Leben und der Schöpfung in Berührung zu kommen. Die also gemeinsam eine Spiritualität des Widerstands und der Leidenschaft für das Leben entwickeln, die sich sowohl in politischem Handeln wie im Feiern des Lebens ausdrückt.

Das neue Schöpfungsverständnis ökofeministischer Theologinnen ist also nicht in erster Linie ein neues intellektuelles Reden über die Schöpfung, sondern Ausdruck einer neuen Spiritualität, die auch zu neuen Verhaltensweisen im Alltag und politischem Handeln führt. Spiritualität verstehe ich hier als eine Haltung, aus der heraus wir leben, die unsere ganze Person, unsere Einstellung zum Leben, unsere Arbeit, unsere Werte und all unsere Beziehungen prägt und ihnen Sinn verleiht. Eine ökofeministische Spiritualität, die im Wissen um unsere Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung gründet, ist keineswegs an den christlichen Glauben gebunden. Der Respekt vor allem Leben und das Bewusstsein, dass wir alle Teil desselben lebendiges Leibes sind, wird auch ausserhalb der christlichen Religion gelebt, und in dieser Hinsicht können wir ChristInnen viel von anderen, nicht-christlichen Traditionen lernen.

Die biblische und christliche Tradition bietet nicht einfach per se Grundlagen für eine heutige ökologische Spiritualitat und Ethik, aber sie enthält da und dort Ansatzpunkte, die weiterentwickelt werden können. So kann z.B. eine neue Lesart von Genesis 1, die der ursprünglichen Intention des hebräischen Textes entsprechend das Sorgerecht und die Verantwortung der Menschen der Schöpfung gegenüber betont, zu einem neuen Schöpfungsverständnis führen. Auch die hebräische Vorstellung von der Weisheit Gottes, die bei der Erschaffung der Welt anwesend ist und als immanente, göttliche Wirkkraft das Universum in Gang hält, kann als Quelle für eine ökologische Spiritualität fruchtbar gemacht werden, ebenso die neutestamentliche kosmologische Christologie, in der Christus als kosmische Manifestation Gottes betrachtet wird[17]. Eine ökofeministische Spiritualität geht aber auch über die christliche Tradition hinaus, indem sie neu die Natur, die Erde in eine christliche Ethik miteinbezieht und die christliche Botschaft von der Befreiung der Unterdrückten und dem Heilwerden der Leidenden auch auf die ausgebeutete und verwundete Natur ausweitet. Eine ökofeministische Ethik betont die Verantwortung von uns Menschen, uns aktiv am weitergehenden Schöpfungsprozess zu beteiligen, indem wir neue, auf Gerechtigkeit und Respekt basierende Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen uns und Menschen anderer kultureller und religiöser Herkunft, zwischen uns und den anderen Geschöpfen aufbauen. Nicht allein aus moralischer Pflicht, sondern weil wir erkennen, dass wir Teil der Erde, dass wir aufeinander angewiesen und in einem gemeinsamen Ursprung verbunden sind.

Ökofeministische Spiritualität hat für mich nichts mit dem Traum von einer paradiesischen Welt oder einer heilen Mutter Erde zu tun, der einlullt, sondern hat mit Wachheit zu tun, einer Wachheit, die uns mit allen Sinnen gegenwärtig sein lässt in der Welt und uns die Kostbarkeit, aber auch die Gefährdung des Lebens in all seinen Dimensionen vor Augen führt. Ökofeministische Spiritualität wächst für mich aus dem Staunen über das Wunder der Schöpfung, aus der Entdeckung der Heiligkeit des Lebens, die sich in unserem Alltag enthüllt; sie äussert sich in einer neuen Achtsamkeit gegenüber dem konkreten Leben, dem Leben in seiner Schönheit und seiner Verletzbarkeit, seiner Ambivalenz und seiner Begrenztheit, und in der täglich sich wiederholenden Sorge um die Aufrechterhaltung des Lebens. Ökofeministische Spiritualität führt zu einer neuen Wertschätzung des Hier und Jetzt als dem einzigen Zeitpunkt, in dem unsere Verantwortung für das Leben und unser Dank an das Leben stattfinden.

Ökofeministische Spiritualität lädt ein zu einem neuen Bund, zu einer neuen Art von Universalismus, der Länder, Völker und Religionsgemeinschaften in der gemeinsamen Mission verbindet, menschliches, tierisches und pflanzliches Leben vor der Zerstörung zu bewahren, künftigen Generationen eine Zukunft zu erhalten und den Planeten Erde vor der Vernichtung zu retten. Noch ist dieser universale Bund ein ferner Traum. Doch wir tun heute Schritte auf ihn zu, wenn wir voller Leidenschaft das Leben lieben und nicht nachlassen im Bemühen, das kostbare Leben zu achten und zu schützen, das in uns und in allen Lebewesen ist und uns mit dem ganzen Kosmos verbindet.

 

Doris Strahm

 

Fussnoten:

1  Vgl. Ivone Gebara, Ecofeminism, in: Letty M. Russell and J. Shannon Clarkson (Hg.), Dictionary of Feminist Theologies, Louisville/Kentucky 1996, 76.

2  Vgl. Rosemary Radford Ruether, Gaia & Gott. Eine ökofeministische Theologie der Heilung der Erde, Luzern 1994, 31f.

3  Vgl. Ruether, Gaia & Gott, 38ff.

4  Vgl. Ruether, ebd. 149.

5  Ivone Gebara, Das Seufzen der Schöpfung und unser Seufzen, in: Bärbel Fünfsinn/Christa Zinn (Hg.), Das Seufzen der Schöpfung. Ökofeministische Beiträge aus Lateinamerika, Hamburg 1998, 28f.

6  Ebd. 33.

7  Ebd. 33f.

8  Chung Hyun Kyung, Schamanin im Bauch - Christin im Kopf. Frauen Asiens im Aufbruch, Stuttgart 1992, 26.

9  Vgl. ebd. 27f.

10  Mary Judith Ress, Ganzheitlicher Ökofeminismus. Interview mit Ivone Gebara, 22.

11  Ivone Gebara, Das Seufzen der Schöpfung und unser Seufzen, 31.

12  Vgl. Mary Judith Ress, Ganzheitlicher Ökofeminismus. Interview mit Ivone Gebara, 24.

13  Ivone Gebara, Der Körper - neuer Ausgangspunkt für die Theologie, in: FAMA. Feministisch-theologische Zeitschrift, Heft 4/1997, Basel 1997, 14.

14  Ebd. 15.

15  Ruether, Gaia & Gott, 264.

16  Ivone Gebara, Warum der Tod?, in: Fünfsinn/Zinn (Hg.), Das Seufzen der Schöpfung, 79/81f.

17  Vgl. z.B. Sallie McFague, The Body of God. An Ecological Theology, Minneapolis 1993.

 

 

© Doris Strahm 1999